Mit netten Worten und einem Tropfen Öl
46 Jahre Kirchturmuhr in Wesermarsch aufgezogen – Rudi Milbrandt übergibt an Nachfolger
Stollhamm – Wer 46 Jahre lang eine Aufgabe mit größter Zuverlässigkeit erfüllt, der hat sich Respekt verdient. So auch Rudi Milbrandt, der seit 1975 Woche für Woche die Kirchturmuhr in Stollhamm (Gemeinde Butjadingen, Landkreis Wesermarsch) aufgezogen hat – und beteuert, dass er diesen Dienst in all den Jahren nicht ein einziges Mal vergessen hat. Nun hat der 80-Jährige einen Nachfolger gefunden. Der 49-jährige Jens Rüscher kann sich durchaus vorstellen, diese wichtige Aufgabe für eine längere Zeit auszuüben. Jedenfalls freut er sich auf sein neues Ehrenamt.
Als Rudi Milbrandt am 1. Juni 1975 seine Arbeit als Küster und Friedhofswärter bei der Kirchengemeinde Stollhamm aufnahm, war das wöchentliche Aufziehen der Kirchturmuhr noch eine Pflichtaufgabe. Er hatte sie von seinem Vorgänger Günther Kleen übernommen. Meist am Montagabend stapfte er nach Feierabend in die Spitze des Turmes, hatte für die Uhr ein paar aufmunternde Worte dabei, genoss oft einen Blick über „sein“Stollhamm und machte sich wieder auf den Weg hinab. Nach einer halben Stunde war die Aufgabe in aller Regel erledigt. Und wenn mit der Uhr einmal etwas nicht stimmte, dauerte es nicht lange, dass im Hause Milbrandt das Telefon klingelte. Auch wenn die Uhr in der Woche kaum mehr als eine halbe Minute „verliert“, kam es doch einige Male vor, dass sie stehen blieb. Ein kurzer Kontrollgang und ein Tropfen Öl beseitigten meist das Problem.
Motor erfunden
Eine größere Reparatur gab es im Jahre 1992, als die Seile des Uhrwerkes mithilfe von Elektromeister Wilm Ulffers erneuert wurden. Eine wesentliche Erleichterung brachte das Jahr 2010 mit sich, als Nachbar Willfred Hoffmann einen Aufzieh-Motor konstruierte. Damit war das Aufziehen selbst überflüssig geworden.
Allerdings musste seither der Motor wöchentlich auf die jeweilige Welle – Uhrzeit, Viertelstundenschlag und Stundenschlag – umgehängt werden. Die Arbeit war also einfacher, aber keinesfalls entbehrlich geworden.
Und Rudi Milbrandt übte diese Aufgabe auch weiter zuverlässig aus, nachdem er 2001 in den Ruhestand gewechselt war. Wenn der heute 80-Jährige in all den Jahren einmal im Urlaub war oder eine längere Fahrradtour unternahm, hatte er in Gerold Kleen oder Jürgen Speetzen verlässliche Vertreter.
„Gemogelt“hat Rudi Milbrandt höchstens mal, wenn die Uhr von der Sommer- auf die Winterzeit umgestellt werden musste. Dann hat er die Zeiger mitunter schon am Abend vorher verschoben, weil er keine Lust hatte, nachts um zwei Uhr die 104 Stufen zu bewältigen.
Gegenwind fürs Pingeln
Über die Jahre hat Rudi Milbrandt seine Kirchturmuhr auch wegen ihrer Zuverlässigkeit ins Herz geschlossen. Jedenfalls gab es von ihm stets sofort „Gegenwind“, wenn jemand im Dorf vom „Pingeln“der Glocke sprach. „Eine Glocke läutet“, war dann stets seine klare Ansage.
Nun ist also der Generationswechsel vollzogen, oben in der Kirchturmspitze. Die Stollhammer werden ihn kaum bemerken. Und auch die Uhr selbst wird sich nicht groß umstellen müssen; jedenfalls spricht Jens Rüscher genauso gern Plattdeutsch wie sein langjähriger Vorgänger. Und aufmunternde Worte für die betagte Uhr wird der „Neue“sicherlich auch finden.