Von besonderen Momenten und Geschenken
Hey Jude: Rockstar Liam Gallagher (48) hat bei Twitter mit einer Beatles-Anspielung einen Wink in Richtung von Englands Fußball-Nationalspieler Jude Bellingham (17) gegeben. Der Fußballer grüßte direkt zurück. „Hey Jude“hatte der ehemalige Oasis-Frontmann am Sonntag geschrieben: Der Titel eines der bekanntesten Songs der Beatles und gleichzeitig ein Gruß für den Spieler von Borussia Dortmund. „Hey Liam“, antwortete der 17-Jährige einige Stunden später. Bellingham war beim EM-Spiel der Engländer gegen Kroatien in London eingewechselt worden. Im Alter von 17 Jahren und 349 Tagen ist er nun der jüngste Spieler, der bei einer EM zum Einsatz kam.
Es war wahnsinnig heiß an diesem 7. Juli 2016 in der französischen Hafenstadt Marseille. Jeder Schritt war einer zu viel. Auf dem Weg zum Stadion quetschte sich eine Horde Fußballfans in der Metro zusammen. Alles klebte. Ich atmete möglichst gleichmäßig ein und aus. Mit der Lebenserfahrung der Pandemie erscheinen mir diese Bilder vor meinem geistigen Auge wie aus einer anderen Welt. Fremd. Das Gefühl, das dieses bedeutsame Spiel in mir auslöste, ist dagegen noch sehr nahe. Deutschland gegen den EM-Gastgeber Frankreich im Halbfinale. Die Marseillaise in Marseille. Es war besonders.
Auch diese EM ist besonders. Anders besonders. Wenn Deutschland heute in München gegen Frankreich spielt, lautet die nicht klimaneutrale Empfehlung, mit dem Auto (!) zum Stadion zu fahren, um
Kontakte in den öffentlichen Verkehrsmitteln zu verhindern. Zudem muss ein negativer Test vorliegen, auf den Tickets sind für jeden Inhaber spezielle Timeslots markiert, um offiziell ins Stadion einzuchecken, die Laufwege sind vorgegeben, die Abstände auf
Okka Gundel der Tribüne weiträumig markiert. All das ist besonders.
Es wurde viel darüber diskutiert, ob das Vorhaben einer dezentralen EM mit vielen Spielorten in Corona-Zeiten zu verantworten sei. Auch ich war skeptisch und verspüre eine Ambivalenz. Die Gefahr liegt nicht in den großen Stadien mit kleiner Auslastung, sondern eher bei den Fans, die sich bei der gemeinsamen Leidenschaft des Fußballschauens in die Arme fallen, so wie in Rom beim Eröffnungsspiel. Da zucke ich vor dem TV ein wenig zusammen und gehe in eine Art Abwehrhaltung. Und doch freue ich mich über ein bisschen Leichtigkeit, die uns diese EM zurückgegeben hat. Auch wenn Leichtigkeit und Leichtsinn womöglich näher beieinander liegen, als wir uns eingestehen möchten.
Als Geschenk sehe ich auch die viel beklagte schwere Gruppe F, in der Deutschland mit Weltmeister Frankreich, Europameister Portugal und Ungarn ist. Dabei hat sie doch einen großen Vorteil: Schon in der Vorrunde sind uns prestigeträchtige Begegnungen mit zwei herausragenden Fußballnationen vergönnt. Mein Herz lässt das höher schlagen.
Und was ist das Schönste bei großen Turnieren? Die Spiele gegen den Gastgeber. Das ist auch das ganz Besondere. Elf Gastgeberstädte versprechen so viel mehr Heimspiele und damit so viel mehr Spiele gegen den Gastgeber als normalerweise. So bestreitet Deutschland alle drei Gruppenspiele in München. Im Tennis würde man sagen: Advantage Germany. Für Joachim Löw und sein Team dürfte sich die Gruppenphase deshalb wie eine Heim-EM anfühlen.
Und das ist wiederum besonders schön für die Rückkehrer Mats Hummels und Thomas Müller. Beim Sommermärchen 2006 waren sie noch nicht dabei. Bei der offiziellen Heim-EM 2024 sind sie vielleicht endgültig nicht mehr dabei. Hier und jetzt bei der EM 2020 bekommen sie nach ihrer Ausbootung nun unverhofft eine Art HeimTurnier. Was für ein Geschenk!
Ich bin gespannt darauf, ob die beiden Comebacker das Turnier an sich reißen können. Das Pendant aufseiten der Franzosen ist Karim Benzema. Ihn hatte es ungleich härter getroffen, als er von Coach Didier Deschamps vor der EM 2016 im eigenen Land ausgeschlossen wurde. Nun darf auch er mit dabei sein.
Ich vermute, dass alle Drei eine gewisse Demut verspüren, wenn sie heute Abend bei Kaiserwetter in die EM starten. So wie ich, wenn ich mich an den 7. Juli 2016 erinnere. Es war heiß damals in Marseille. Deutschland verlor 0:2 und schied aus. Es war einer der besondersten Momente meines Berufslebens. Ein Geschenk!