Größere Gefahr von Rechten und Linken
Innenminister Horst Seehofer warnt vor zugespitzter Extremismus-Sicherheitslage
Berlin – Mag das öffentliche Leben in der Pandemie im vergangenen Jahr über viele Monate heruntergefahren worden sein, die Zahl politisch motivierter Straf- und Gewalttaten ist gestiegen. „Extremisten und Terroristen gehen nicht in den Lockdown“, stellte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang bei der Vorlage des jüngsten Jahresberichtes vor. Viele Extremisten hätten ihre Tätigkeit ins Internet verlagert. „Sie sitzen sozusagen im Homeoffice“, erläuterte der Verfassungsschützer. Innenminister Horst Seehofer versuchte, aufzurütteln: „Wir haben einen Alarmzustand“, warnte er und sprach von einer „sehr, sehr ernstzunehmenden Bedrohungslage“.
■ Rechte Gewalt
Durch die Corona-Pandemie habe die rechte Szene zusätzlichen Auftrieb bekommen. Über die Proteste gegen staatRechten“ liche Maßnahmen hätten Rechtsextremisten versucht, Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu gewinnen. Auf derselben Grundlage sei auch die Reichsbürgerszene gewachsen – von 19 000 auf 20 000 Personen. Die gewaltbereiten Reichsbürger schätzt der Verfassungsschutz auf rund 2000. Ein Hauptaugenmerk gilt dabei dem Waffenbesitz. Zudem widmete der Verfassungsschutz der „Neuen erstmals ein eigenes Kapitel. Aktivisten und Publikationen seien bemüht, die Grenze des Sagbaren zu verschieben. Sie seien „pseudointellektuell“unterwegs und bereiteten den Nährboden für gewalttätige Rechtsextremisten und Rechtsterroristen.
Der stetige Zulauf zum Rechtsextremismus ist umso bemerkenswerter, als die typischen Anknüpfungspunkte für den Einstieg in die Szene zu einem großen Teil ausfielen: Größere rechtsextremistische Musikveranstaltungen fielen aus. Die Zahl von Demonstrationen, die von Rechtsextremisten maßgeblich beeinflusst wurden, stieg im Gegenzug von 186 auf 233. Zumindest diese fanden jedoch weniger Zulauf.
■ Linke Gewalt
Auf der anderen Seite drückte der Minister seine Besorgnis über die um ein Drittel gestiegene Zahl linksextremistischer Gewalttaten aus. Haldenwang nannte Beispiele von Überfällen auf vermeintliche Gegner, bei denen auch der Tod in Kauf genommen worden sei. Im Linksextremismus seien heimlich operierende Kleingruppen zu verzeichnen, bei denen genau beobachtet werden müsse, ob sich daraus linksterroristische Strukturen entwickelten, berichtete Haldenwang.
■ Antisemitische Taten
Um die Einstufung antisemitischer Straftaten werde es in der Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern in den nächsten Tagen gehen, kündigte Seehofer an. Er werde Vorschläge zur genaueren Differenzierung unterstützen, wenn diese belastbare Ergebnisse liefere. Derzeit schreiben die Statistiken 90 Prozent der antisemitischen Straftaten dem Rechtsextremismus zu. Haldenwang bezeichnete Antisemitismus als Klammer, die zahlreiche Extremisten vereine.