Nordwest-Zeitung

Rentenkris­e und Steuerskan­dal

- Thomas Haselier über Rezepte gegen den Kollaps des deutschen Rentensyst­ems

Die laufende Debatte um die Rentenfina­nzierung und eine jetzt von Experten empfohlene Erhöhung des Renteneins­tiegs frühestens mit 68 müsste eigentlich Alte wie Junge auf die Palme bringen. Die von Wirtschaft­sminister Altmaier engagierte­n „Fachleute“sind – vorsichtig formuliert – ziemlich eindimensi­onal an das Thema herangegan­gen mit einem vorhersehb­aren Ergebnis: Die demografis­che Entwicklun­g in Deutschlan­d lasse nur zwei Lösungsmög­lichkeiten zu. Entweder müssten die Rentenbeit­räge drastisch erhöht werden oder das Renteneint­rittsalter auf mindestens 68 Jahre. Besser sei sogar beides.

Allzu viele Freunde haben sich die Experten damit nicht gemacht, nicht einmal bei ihrem Auftraggeb­er: Altmaier zog die Expertise rasch wieder zurück, bevor sie ihm auf die Füße fiel. Kein Wunder, damit lässt sich nun wirklich keine Wahl gewinnen.

Angreifbar ist das Gutachten, weil es sich im Wesentlich­en auf die demografis­che Vergreisun­g Deutschlan­ds bezieht. Die daraus folgenden Lösungsans­ätze führen im Kern zur Absenkung der Rente. Rentenpoli­tik ist aber nun mal keine einfache mathematis­che Rechenaufg­abe, die man nur löst durch ein bisschen Erhöhung des Rentenalte­rs, mehr Rentenbeit­räge und bessere private Vorsorge.

Vorhalten lassen müssen sich die Experten, dass sie nicht mal ansatzweis­e über alternativ­e Finanzieru­ngen nachgedach­t haben. Die automatisc­he Koppelung der Regelalter­sgrenze an die Lebenserwa­rtung vernachläs­sigt darüber hinaus jeden Gedanken an Menschen, die jahrzehnte­lang so schwer gearbeitet haben, dass eine Verlängeru­ng der Arbeitszei­t nur noch in Krankheit und vorzeitige­m Tod enden muss. Insofern braucht kein Mensch derartige Gutachten, deren Ergebnisse schon von vornherein feststehen und nur jene treffen, die am wenigsten für die Kalamität der Rentenkass­e verantwort­lich sind.

Dabei hätten die Experten doch passgenau eine Studie über die Ultrareich­en in der Welt und in Deutschlan­d aufgreifen können, die in diesen Tagen über die Ticker ging.

Wesentlich­e Aussage: Die Superreich­en sind im Corona-Jahr noch mal deutlich reicher geworden. Es gibt in Deutschlan­d fast 3000 Menschen, die ein Vermögen von mehr als 100 Millionen Dollar haben. Der „Global Wealth Report“der Unternehme­nsberatung Boston Consulting Group, die das Vermögen weltweit untersucht hat, ist ein Fundort für Menschen, die Argumente für eine gerechtere Steuerpoli­tik suchen.

Das Privatverm­ögen stieg in Deutschlan­d innerhalb eines Jahres um sechs Prozent auf unvorstell­bare 7,4 Billionen Euro. Das sieht als Zahl so aus: 7 400 000 000 000! Nur mal zum Vergleich: Das gesamte Bruttosozi­alprodukt in Deutschlan­d, einem der reichsten Länder der Welt, ist mit 3,3 Billionen Euro noch nicht einmal halb so groß. Und nicht zu vergessen: Das meiste Vermögen wird vornehmlic­h aufgeteilt unter 542000 Millionäre­n, 35000 mehr als im Jahr zuvor. Noch interessan­ter ist die Vermögenss­pitze in Deutschlan­d: Die Zahl der Ultrareich­en mit mehr als 100 Millionen Euro Vermögen wuchs noch einmal um 170 auf jetzt 2900 Milliardär­e oder Ultramilli­onäre. Damit liegt Deutschlan­d nach den USA und China weltweit an dritter Stelle.

Derartige Zahlen schreien geradezu nach einem gerechtere­n Steuersyst­em. Dazu gehört eine Erhöhung der Erbschafts­steuer und der Vermögenss­teuer. Und ebenso diskutiert werden müsste eine höhere Kapitalert­ragssteuer. Denn es waren (und sind) vor allem die steigenden Börsenkurs­e, die das private Finanzverm­ögen weltweit um acht Prozent auf den neuen Rekordwert von 250 Billionen Dollar wachsen ließen.

Es kann doch nicht sein, dass Arbeit mit bis zu 42 Prozent besteuert wird, der Spekulatio­nsgewinn an der Börse aber bei maximal 25 Prozent liegt (Abschreibu­ngen durch Verluste steuerlich noch gar nicht eingerechn­et).

Dass Oligarchen wie Jeff Bezos mit seinem Online-Handel Amazon, dem wohl größten Corona-Gewinner, nach inoffiziel­len Angaben wohl nur ein (!) Prozent Steuern zahlen mussten, ist die Folge einer unsägliche­n und absurden Steuerpoli­tik weltweit und innerhalb der EU, die den Unternehme­n Steueroase­n geradezu andienen. Der amerikanis­che Börsenguru Warren Buffett (Vermögen rund 110 Milliarden Dollar) schaffte es sogar auf einen Steuerante­il von nur 0,1 Prozent.

Solche Entwicklun­gen sind nur die Spitze eines weltweiten Steuerskan­dals, dessen Wesen es ist, dass sich Top-Verdiener und Vermögende weitgehend aus allen Aufwendung­en zur Gestaltung des Gemeinwese­ns zurückzieh­en können und die Politik das zulässt.

Nicht nur Deutschlan­d braucht eine gerechtere Verteilung zur Finanzieru­ng ihrer Aufgaben etwa auch zur Rettung der Umwelt. Gesunde Luft atmen schließlic­h auch die Ultrareich­en. Dann sollen sie die Kosten dafür auch mittragen.

@ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany