Rentenkrise und Steuerskandal
Die laufende Debatte um die Rentenfinanzierung und eine jetzt von Experten empfohlene Erhöhung des Renteneinstiegs frühestens mit 68 müsste eigentlich Alte wie Junge auf die Palme bringen. Die von Wirtschaftsminister Altmaier engagierten „Fachleute“sind – vorsichtig formuliert – ziemlich eindimensional an das Thema herangegangen mit einem vorhersehbaren Ergebnis: Die demografische Entwicklung in Deutschland lasse nur zwei Lösungsmöglichkeiten zu. Entweder müssten die Rentenbeiträge drastisch erhöht werden oder das Renteneintrittsalter auf mindestens 68 Jahre. Besser sei sogar beides.
Allzu viele Freunde haben sich die Experten damit nicht gemacht, nicht einmal bei ihrem Auftraggeber: Altmaier zog die Expertise rasch wieder zurück, bevor sie ihm auf die Füße fiel. Kein Wunder, damit lässt sich nun wirklich keine Wahl gewinnen.
Angreifbar ist das Gutachten, weil es sich im Wesentlichen auf die demografische Vergreisung Deutschlands bezieht. Die daraus folgenden Lösungsansätze führen im Kern zur Absenkung der Rente. Rentenpolitik ist aber nun mal keine einfache mathematische Rechenaufgabe, die man nur löst durch ein bisschen Erhöhung des Rentenalters, mehr Rentenbeiträge und bessere private Vorsorge.
Vorhalten lassen müssen sich die Experten, dass sie nicht mal ansatzweise über alternative Finanzierungen nachgedacht haben. Die automatische Koppelung der Regelaltersgrenze an die Lebenserwartung vernachlässigt darüber hinaus jeden Gedanken an Menschen, die jahrzehntelang so schwer gearbeitet haben, dass eine Verlängerung der Arbeitszeit nur noch in Krankheit und vorzeitigem Tod enden muss. Insofern braucht kein Mensch derartige Gutachten, deren Ergebnisse schon von vornherein feststehen und nur jene treffen, die am wenigsten für die Kalamität der Rentenkasse verantwortlich sind.
Dabei hätten die Experten doch passgenau eine Studie über die Ultrareichen in der Welt und in Deutschland aufgreifen können, die in diesen Tagen über die Ticker ging.
Wesentliche Aussage: Die Superreichen sind im Corona-Jahr noch mal deutlich reicher geworden. Es gibt in Deutschland fast 3000 Menschen, die ein Vermögen von mehr als 100 Millionen Dollar haben. Der „Global Wealth Report“der Unternehmensberatung Boston Consulting Group, die das Vermögen weltweit untersucht hat, ist ein Fundort für Menschen, die Argumente für eine gerechtere Steuerpolitik suchen.
Das Privatvermögen stieg in Deutschland innerhalb eines Jahres um sechs Prozent auf unvorstellbare 7,4 Billionen Euro. Das sieht als Zahl so aus: 7 400 000 000 000! Nur mal zum Vergleich: Das gesamte Bruttosozialprodukt in Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, ist mit 3,3 Billionen Euro noch nicht einmal halb so groß. Und nicht zu vergessen: Das meiste Vermögen wird vornehmlich aufgeteilt unter 542000 Millionären, 35000 mehr als im Jahr zuvor. Noch interessanter ist die Vermögensspitze in Deutschland: Die Zahl der Ultrareichen mit mehr als 100 Millionen Euro Vermögen wuchs noch einmal um 170 auf jetzt 2900 Milliardäre oder Ultramillionäre. Damit liegt Deutschland nach den USA und China weltweit an dritter Stelle.
Derartige Zahlen schreien geradezu nach einem gerechteren Steuersystem. Dazu gehört eine Erhöhung der Erbschaftssteuer und der Vermögenssteuer. Und ebenso diskutiert werden müsste eine höhere Kapitalertragssteuer. Denn es waren (und sind) vor allem die steigenden Börsenkurse, die das private Finanzvermögen weltweit um acht Prozent auf den neuen Rekordwert von 250 Billionen Dollar wachsen ließen.
Es kann doch nicht sein, dass Arbeit mit bis zu 42 Prozent besteuert wird, der Spekulationsgewinn an der Börse aber bei maximal 25 Prozent liegt (Abschreibungen durch Verluste steuerlich noch gar nicht eingerechnet).
Dass Oligarchen wie Jeff Bezos mit seinem Online-Handel Amazon, dem wohl größten Corona-Gewinner, nach inoffiziellen Angaben wohl nur ein (!) Prozent Steuern zahlen mussten, ist die Folge einer unsäglichen und absurden Steuerpolitik weltweit und innerhalb der EU, die den Unternehmen Steueroasen geradezu andienen. Der amerikanische Börsenguru Warren Buffett (Vermögen rund 110 Milliarden Dollar) schaffte es sogar auf einen Steueranteil von nur 0,1 Prozent.
Solche Entwicklungen sind nur die Spitze eines weltweiten Steuerskandals, dessen Wesen es ist, dass sich Top-Verdiener und Vermögende weitgehend aus allen Aufwendungen zur Gestaltung des Gemeinwesens zurückziehen können und die Politik das zulässt.
Nicht nur Deutschland braucht eine gerechtere Verteilung zur Finanzierung ihrer Aufgaben etwa auch zur Rettung der Umwelt. Gesunde Luft atmen schließlich auch die Ultrareichen. Dann sollen sie die Kosten dafür auch mittragen.
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