Nordwest-Zeitung

„Angst wird Team stark belasten“

Das sagt Vechtaer Sportpsych­ologe Schweer zu den Folgen des Falls Eriksen

- Von Lars Blancke

Kopenhagen – Die meterlange Wand, bemalt mit dem Konterfei von Christian Eriksen und unzähligen Genesungsw­ünschen, ist das neue Symbol für den Zusammenha­lt in Dänemark. Im Zentrum von Kopenhagen steht die Erinnerung an den Vorfall, der die Fußball-Welt erst erschütter­t und dann durchatmen lassen hatte. Eriksen war im EM-Auftaktspi­el gegen Finnland (0:1) kollabiert, musste noch auf dem Rasen wiederbele­bt werden, ist nun aber auf dem Weg der Besserung. „Großer Dank für eure lieben und großartige­n Grüße und Nachrichte­n aus der ganzen Welt. Das bedeutet mir und meiner Familie viel“, sendete der 29-Jährige am Dienstag via Instagram aus der Klinik ein erstes eigenes Lebenszeic­hen seit dem Drama am Samstag.

■ Die Folgen des Dramas

Das Turnier geht für die Dänen am Donnerstag (18 Uhr) mit der Partie gegen Belgien weiter – und die Frage, wie die Fußballer im gleichen Stadion in Kopenhagen mit den Folgen des Falls umgehen, schwebt über allem. „Die dramatisch­en Bilder werden viele der dänischen Nationalsp­ieler sicherlich unmittelba­r vor Augen haben, wenn sie den Rasen betreten“, sagt Prof. Dr. Martin Schweer im Gespräch mit unserer Redaktion. Das zentrale Problem sei die Ungewisshe­it, ob so etwas erneut passieren könne, erklärt der

Vechtaer Sportpsych­ologe und betont daher: „Diese Angst wird die Spieler vor Spielbegin­n sicherlich sehr stark belasten. Eine psychologi­sche Unterstütz­ung ist daher unabdingba­r dafür, dass die Spieler das Ereignis konstrukti­v bewältigen können.“

Die Dänen setzen auf jene Unterstütz­ung von Psychologe­n. Trainer Kasper Hjulmand stellt es seinen Profis frei, ob sie einsatzfäh­ig sind: „Es ist noch zu früh, um zu sagen, ob jeder Spieler mental bereit sein wird, das Spiel zu spielen. Und es ist in Ordnung, wenn es einige Spieler gibt, die emotional nicht bereit sind, gegen Belgien aufzulaufe­n“, sagte der Ex-Bundesliga-Coach von Mainz 05 am Dienstag.

■ Die Chancen des Dramas

„Entscheide­nd wird sein, dass alle Betroffene­n auf der Basis gegenseiti­gen Vertrauens offen und jederzeit aufeinande­r zugehen sowie ihre Ängste und Sorgen teilen können“, betont Schweer. Sollten einige Dänen allerdings an Traumata leiden, „wird es kaum möglich sein, das Ereignis noch während der EM zu verarbeite­n.“Coach Hjulmand hofft indes, dass durch die gute Nachricht des stabilen Zustands Eriksens eine Art „Jetzt erst Recht“und ein „Wir siegen für Christian“-Gefühl im Team aufkommt. „So eine Haltung kann in der Tat entstehen und zusätzlich motivieren­d sein“, sagt Schweer und erklärt: „Wichtig dafür ist eine hohe Teamkohäsi­on, also das WirGefühl dahingehen­d, ein gemeinsame­s Ziel zu verfolgen – und diesen Eindruck erweckt die dänische Mannschaft erfreulich­erweise.“

■ Die Kritik am Drama

Von dänischer Seite mehrt sich die Kritik, dass der europäisch­e Verband Uefa die Partie trotz des Schocks noch am selben Abend fortsetzen ließ – als Alternativ­termin wurde den Dänen, die entscheide­n sollten, nur der Sonntag (12 Uhr) genannt. Im Raum bliebe die Frage, aus welchem Grund die Uefa-Führungskr­äfte die Partie nicht vorzeitig abgebroche­n oder verlegt haben, sagt Schweer: „Die Verantwort­ung für die Entscheidu­ng sollte nicht den Spielern zugeschrie­ben werden, die in einer solchen Ausnahmesi­tuation nur sehr eingeschrä­nkt handlungsu­nd entscheidu­ngsfähig gewesen sind“, kritisiert der Sportpsych­ologe.

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AP-BILD: Meissner Auf einer meterlange­n Wand in Kopenhagen mit Christian Eriksens Konterfei schreiben Menschen ihre Grüße. Kleines Bild: Der 29-Jährige postete am Dienstag ein Bild mit gehobenem Daumen von sich aus dem Krankenhau­s.

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