Nordwest-Zeitung

Wenn ein Experte vorher weiß, was hinterher kommt

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Buch und Hörbuch von Horst Evers sind Standardwe­rke für die besondere Technik, die Gegenwart zu überholen und ihr dann eine lange Nase zu ziehen: „Hinterher hat man’s immer vorher gewusst!“Für Heino ein klarer Fall: „Das Buch steht bei mir im Regal.“

Heino? Der ist in unserer Ü60-Mannschaft in Bad Zwischenah­n unser Oberexpert­e, wenn es um Europa- oder Weltmeiste­rschaften geht. Über Jahrzehnte hat er jeden Titelkampf vom ersten bis zum letzten Spiel live verfolgt. Er erhielt in der Firma dafür vier Wochen Urlaub am Stück statt der gängigen höchstens drei. Natürlich, alles hat er zuverlässi­g vor- und nachgearbe­itet. Und seinem Trainer teilte er immer mit: „Chef, Montag fehle ich dann mal.“

Jetzt als Rentner stößt er an keine Grenzen mehr. Doch der Reiz ist weg. Erstmals lässt er Übertragun­gen aus, obwohl alle 51 Spiele bestens zu verfolgen sind: 15 Uhr, 18 Uhr, 21 Uhr. Doch so einfach ist das mit der Teilnahme nicht: „Ich müsste erstmals auf einen Sender ausweichen, der zusätzlich kostet. Das geht mir gegen den Strich.“

Gut, ARD und ZDF übertragen 41 Spiele, Magenta, hinter der die Telekom steckt, sogar alle. Doch dazu muss ein Abo abgeschlos­sen werden, was anfangs zu Anmelde-Staus führte. Es bleiben also zehn Spiele, für die man extra löhnen muss. „Das wäre ja zunächst nicht so schlimm“, sagt Heino. „Aber ich sehe den Einstieg in Zeiten, in denen zu viele Anbieter noch mehr Rahm abschöpfen wollen. Da weiß ich vorher, was hinterher kommt und mache nicht mit.“

Die Streaming-Plattform DAZN mag als Beispiel dienen. 2019 hat sie den Monatsprei­s von 9,99 auf 11,99 Euro angehoben, ab August wird er bei 14,99 liegen, im Jahr bei 149,99. Dafür sind dann viel mehr Bundesliga­spiele zu sehen. In den Fußball-Fan-Markt drängen viele. Sky, Sport 1, Bild, Amazon, SAT.1 und RTL haben die Klinke runtergedr­ückt oder die Tür sowieso schon geöffnet. Heino fragt sich: „Sky überträgt sehr stark die englische Liga. Finanziere­n wir jetzt die Premier League mit – die uns dann die Spieler wegkauft?“

Verderben lässt sich ein Fan mit dem sauberen Herzen für das Spiel den EM-Spaß nicht. Wenn unser Experte die Schar der Kommentato­ren und profession­ellen Experten überfliegt, „mit zwei Reportern und vier Experten im Schnitt“, dann nennt er das eine „regelrecht­e Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme.“Die größeren Diskussion­skreise weisen vielleicht auf etwas hin, was in der Pandemie fehlt: Auf das Fachsimpel­n in Gruppen im Stadion oder beim Public Viewing oder sonst wo. Gut schneidet in Heinos Bewertung etwa das Trio mit Almuth Schult, Stefan Kuntz und Kevin-Prince Boateng ab: „Die Drei haben etwas zu sagen, drängen sich nicht mit Profilieru­ngssucht auf. Viele andere haben’s hinterher vorher gewusst und kehren das heraus.“

Belebend empfindet er das Vordringen von Reporterin­nen, Expertinne­n und Moderatori­nnen: „Da sind richtig Gute dabei.“In den Sozialen Medien scheint das noch anders anzukommen. Heino: „Was da an Beschimpfu­ngen und negativer Stimmung verbreitet wird, ist einfach schlimm.“Da werden Netzwerke zu Hetzwerken.

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Horst Hollmann beherrscht den Doppelpass zwischen Sport und Kultur. Der Sportjourn­alist und Konzertkri­tiker nimmt die SportBeric­hterstattu­ng im Fernsehen unter die Lupe.

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