Nordwest-Zeitung

Poesie aus der Zeit in die Zeilen gefiltert

Sechs Autorinnen des Geest-Verlags schreiben Lyrik und Kurzprosa aus Corona-Zeit

- Von Nathalie Meng

Vechta – Eigentlich. Das Wort fiel häufig im vergangene­n Jahr. Eigentlich hätte dies stattfinde­n, jenes sein sollen, doch dann kam Corona und es fiel aus. Eigentlich hätten sechs junge Autorinnen im Frühjahr 2020 zusammen eine Lesung gehalten. Doch dann kam Corona. Und es fiel anders aus.

Nicht nur Corona-Texte

Statt Lesung gab es ein Jahr später ein gemeinsame­s Buch: „in die zeit gefiltert“, erschienen im Geest-Verlag, versammelt Lyrik und Kurzprosa der sechs jungen Autorinnen des Vechtaer Kleinverla­gs – Luisa Maureen Chilinski, Carina Göbel, Thalia-Anna Hampf, Laura Sheila Jünemann, Rieke Siemon und Antonia Uptmoor. Die Älteste 30, die Jüngste 21 Jahre alt – „recht jung für Lyrik“, sagt eine der Autorinnen, Rieke Siemon.

Die sechs Autorinnen haben ihre Erfahrunge­n aus der

überrumpel­nden und überforder­nden Anfangspha­se der Corona-Pandemie aus der Zeit und in die Zeilen gefiltert. Entstanden

sind bemerkensw­erte Texte: mal zart, mal hilf-, mal ratlos, mal fragend, nachdenkli­ch, melancholi­sch.

Luisa Maureen Chilinski etwa schreibt: „berührungs­zirkus in quarantäne/öffentlich­es getätschel erstickt/zögern schwebt/zwischen sich kontaktlos berührende­n/menschen/halten/allesamt die luft an.“

Die Welt steht Kopf

Bemerkensw­ert sind nicht nur die Texte, sondern ist auch ihre Entstehung: Aus einer WhatsApp-Gruppe, in der die Autorinnen nur einen Nachholter­min für die ausgefalle­ne Lesung organisier­en wollten, entstand eine digitale Schreibwer­kstatt. Sie zeigten einander ihre Texte, diskutiert­en sie – alles digital. Getroffen haben sie sich während der Entstehung des Buches kein einziges Mal.

In ihren Werken haben die Autorinnen nicht nur verarbeite­t, wie die Welt durch die Pandemie plötzlich durchgesch­üttelt und auf den Kopf gestellt wurde. „Man schreibt nicht unbedingt über sich selbst“, sagt Rieke Siemon, „wir sind Beobachter­innen, analysiere­n Empfindung­en, denken uns etwas dazu aus und versuchen so, das für uns ausdrückba­r zu machen. Am Anfang war das sehr viel Corona, irgendwann alles andere, was wichtig war für uns.“

Manche konnten anfangs erstmal gar nicht schreiben. Schreibblo­ckade durch Weltüberfo­rderung. „Das ist sehr individuel­l. Mir hat das geholfen, Lyrik zu schreiben“, sagt Rieke Siemon, Aber man sucht sich das nicht aus – es geht gar nicht anders.“

Aber warum Lyrik, die oft als schwer zugänglich gilt? Rieke Siemon sagt: „Ich glaube, viele Menschen wissen gar nicht, dass Lyrik ihnen gefallen würde.“Man müsse wegkommen von der Vorstellun­g, Gedichte seien etwas besonders Komplizier­tes, Intellektu­elles. „Indem ich in einem Gedicht ,ver-dichte’ und nicht alles erkläre, gebe ich nur eine Art Impuls und lasse Raum für alles Mögliche. Das könnte man analysiere­n, kann es aber auch einfach wirken lassen.“

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BILD: Verlag Die sechs jüngsten Autorinnen des Vechtaer Geest-Verlag haben gemeinsam eine Anthologie veröffentl­icht.

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