Poesie aus der Zeit in die Zeilen gefiltert
Sechs Autorinnen des Geest-Verlags schreiben Lyrik und Kurzprosa aus Corona-Zeit
Vechta – Eigentlich. Das Wort fiel häufig im vergangenen Jahr. Eigentlich hätte dies stattfinden, jenes sein sollen, doch dann kam Corona und es fiel aus. Eigentlich hätten sechs junge Autorinnen im Frühjahr 2020 zusammen eine Lesung gehalten. Doch dann kam Corona. Und es fiel anders aus.
Nicht nur Corona-Texte
Statt Lesung gab es ein Jahr später ein gemeinsames Buch: „in die zeit gefiltert“, erschienen im Geest-Verlag, versammelt Lyrik und Kurzprosa der sechs jungen Autorinnen des Vechtaer Kleinverlags – Luisa Maureen Chilinski, Carina Göbel, Thalia-Anna Hampf, Laura Sheila Jünemann, Rieke Siemon und Antonia Uptmoor. Die Älteste 30, die Jüngste 21 Jahre alt – „recht jung für Lyrik“, sagt eine der Autorinnen, Rieke Siemon.
Die sechs Autorinnen haben ihre Erfahrungen aus der
überrumpelnden und überfordernden Anfangsphase der Corona-Pandemie aus der Zeit und in die Zeilen gefiltert. Entstanden
sind bemerkenswerte Texte: mal zart, mal hilf-, mal ratlos, mal fragend, nachdenklich, melancholisch.
Luisa Maureen Chilinski etwa schreibt: „berührungszirkus in quarantäne/öffentliches getätschel erstickt/zögern schwebt/zwischen sich kontaktlos berührenden/menschen/halten/allesamt die luft an.“
Die Welt steht Kopf
Bemerkenswert sind nicht nur die Texte, sondern ist auch ihre Entstehung: Aus einer WhatsApp-Gruppe, in der die Autorinnen nur einen Nachholtermin für die ausgefallene Lesung organisieren wollten, entstand eine digitale Schreibwerkstatt. Sie zeigten einander ihre Texte, diskutierten sie – alles digital. Getroffen haben sie sich während der Entstehung des Buches kein einziges Mal.
In ihren Werken haben die Autorinnen nicht nur verarbeitet, wie die Welt durch die Pandemie plötzlich durchgeschüttelt und auf den Kopf gestellt wurde. „Man schreibt nicht unbedingt über sich selbst“, sagt Rieke Siemon, „wir sind Beobachterinnen, analysieren Empfindungen, denken uns etwas dazu aus und versuchen so, das für uns ausdrückbar zu machen. Am Anfang war das sehr viel Corona, irgendwann alles andere, was wichtig war für uns.“
Manche konnten anfangs erstmal gar nicht schreiben. Schreibblockade durch Weltüberforderung. „Das ist sehr individuell. Mir hat das geholfen, Lyrik zu schreiben“, sagt Rieke Siemon, Aber man sucht sich das nicht aus – es geht gar nicht anders.“
Aber warum Lyrik, die oft als schwer zugänglich gilt? Rieke Siemon sagt: „Ich glaube, viele Menschen wissen gar nicht, dass Lyrik ihnen gefallen würde.“Man müsse wegkommen von der Vorstellung, Gedichte seien etwas besonders Kompliziertes, Intellektuelles. „Indem ich in einem Gedicht ,ver-dichte’ und nicht alles erkläre, gebe ich nur eine Art Impuls und lasse Raum für alles Mögliche. Das könnte man analysieren, kann es aber auch einfach wirken lassen.“