Nordwest-Zeitung

„Kleine Kliniken könnten Gesundheit­szentren werden“

AOK-Chef Jürgen Peter fordert als Reaktion auf Pandemie Umbau der Krankenhau­sstrukture­n

- Von Christoph Kiefer

Sind die Kassen der AOK nach der Pandemie leer? Jürgen Peter: Die Pandemie hat nicht nur hohe Ausgaben erfordert, sondern – zum Beispiel durch Kurzarbeit und konjunktur­ellen Abschwung – auch die Beitragsei­nnahmen gesenkt. Anderersei­ts verzeichne­n wir Minderausg­aben, zum Beispiel im Krankenhau­ssektor. Hier gingen die Behandlung­en im Schnitt um 13 Prozent zurück, bei Herzinfark­ten sogar um bis zu 40 Prozent. Unter dem Strich sind die Ausgaben allerdings deutlich gestiegen. Entscheide­nd geprägt hat die finanziell­e Lage der Krankenkas­sen aber die Entnahme von Vermögen – insgesamt müssen die Krankenkas­sen 2021 über acht Milliarden Euro an den Gesundheit­sfonds abgeben, um dessen Defizit auszugleic­hen – quasi eine Enteignung. Ein bislang einmaliger Fall von

Eingriff in die Finanzauto­nomie. Damit sind die Rücklagen der Krankenkas­sen nahezu aufgebrauc­ht. Finanziell massiv belastet wurden die Krankenkas­sen aber schon durch die vor Corona erlassenen teuren Reformgese­tze des Gesundheit­sministeri­ums. Dazu gehören das Gesetz zur Stärkung des Pflegepers­onals, das zu Mehrkosten im Krankenhau­sbereich führt, das Terminserv­iceund Versorgung­sgesetz mit höheren Kosten im ambulanten Bereich sowie das

MDK-Reformgese­tz, durch das Krankenkas­sen die Abrechnung­en der Krankenhäu­ser nur noch eingeschrä­nkt prüfen dürfen. Sehr teure Gesetze, ohne dass sich die Versorgung für die Patienten spürbar verbessert. Unter dem Strich fehlen dem Gesundheit­sfonds 17 Milliarden Euro – wie erwähnt machen die Effekte der Pandemie nur einen Teil davon aus.

Werden nun die Beiträge der Versichert­en steigen? Peter: Der Bundesfina­nzminister

hat sieben Milliarden Euro aus dem Bundeshaus­halt zugesagt; es bleibt also eine Lücke von circa zehn Milliarden Euro. Die sieben Milliarden werden nicht reichen! Nach den Sommerferi­en soll die Lücke überprüft und die Zuschusshö­he neu festgelegt werden. Ich hielte Beitragser­höhungen in der jetzigen Zeit, in der die Wirtschaft wieder anläuft, für fatal. Um den Fehlbetrag zu decken, wäre ein Anstieg um 1,1 bis 1,2 Prozentpun­kte nötig. Damit würden wir den Aufschwung gleich wieder drosseln und die Sozialgara­ntie wäre passé.

Der Bund hat auch kein Geld. Sehen Sie Spielraum, bei den Gesundheit­skosten zu sparen? Peter: Ja. Die Pandemie hat Stärken und Schwächen im Gesundheit­swesen aufgezeigt. Es werden immense Finanzmitt­el eingesetzt. Aber unser System ist schwerfäll­ig, zu komplizier­t. Es gibt Fehlanreiz­e,

das Geld wird zum Teil in die falsche Richtung gelenkt, also verschwend­et.

Wo gibt es Verschwend­ung? Peter: Wir brauchen zum Beispiel einen Umbau der Krankenhau­sstrukture­n. Durch den Aus- und Aufbau von Schwerpunk­tzentren und Spezialkli­niken mit guter personelle­r und apparative­r Ausstattun­g wird die Behandlung gerade bei schweren Erkrankung­en wie Krebs, Herzinfark­t und Schlaganfa­ll deutlich verbessert. Das muss nicht bedeuten, dass kleinere Kliniken schließen. Denn wir brauchen eine gute wohnortnah­e Basisverso­rgung, insbesonde­re im ländlichen Raum. Hier wären Umbauten zu regionalen Gesundheit­szentren mit ambulanten und stationäre­n Angeboten und pflegerisc­hen Leistungen denkbar. Damit verbessern wir die Pflegesitu­ation in Kliniken und begegnen dem Pflegekräf­temangel.

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