„Kleine Kliniken könnten Gesundheitszentren werden“
AOK-Chef Jürgen Peter fordert als Reaktion auf Pandemie Umbau der Krankenhausstrukturen
Sind die Kassen der AOK nach der Pandemie leer? Jürgen Peter: Die Pandemie hat nicht nur hohe Ausgaben erfordert, sondern – zum Beispiel durch Kurzarbeit und konjunkturellen Abschwung – auch die Beitragseinnahmen gesenkt. Andererseits verzeichnen wir Minderausgaben, zum Beispiel im Krankenhaussektor. Hier gingen die Behandlungen im Schnitt um 13 Prozent zurück, bei Herzinfarkten sogar um bis zu 40 Prozent. Unter dem Strich sind die Ausgaben allerdings deutlich gestiegen. Entscheidend geprägt hat die finanzielle Lage der Krankenkassen aber die Entnahme von Vermögen – insgesamt müssen die Krankenkassen 2021 über acht Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds abgeben, um dessen Defizit auszugleichen – quasi eine Enteignung. Ein bislang einmaliger Fall von
Eingriff in die Finanzautonomie. Damit sind die Rücklagen der Krankenkassen nahezu aufgebraucht. Finanziell massiv belastet wurden die Krankenkassen aber schon durch die vor Corona erlassenen teuren Reformgesetze des Gesundheitsministeriums. Dazu gehören das Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals, das zu Mehrkosten im Krankenhausbereich führt, das Terminserviceund Versorgungsgesetz mit höheren Kosten im ambulanten Bereich sowie das
MDK-Reformgesetz, durch das Krankenkassen die Abrechnungen der Krankenhäuser nur noch eingeschränkt prüfen dürfen. Sehr teure Gesetze, ohne dass sich die Versorgung für die Patienten spürbar verbessert. Unter dem Strich fehlen dem Gesundheitsfonds 17 Milliarden Euro – wie erwähnt machen die Effekte der Pandemie nur einen Teil davon aus.
Werden nun die Beiträge der Versicherten steigen? Peter: Der Bundesfinanzminister
hat sieben Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt zugesagt; es bleibt also eine Lücke von circa zehn Milliarden Euro. Die sieben Milliarden werden nicht reichen! Nach den Sommerferien soll die Lücke überprüft und die Zuschusshöhe neu festgelegt werden. Ich hielte Beitragserhöhungen in der jetzigen Zeit, in der die Wirtschaft wieder anläuft, für fatal. Um den Fehlbetrag zu decken, wäre ein Anstieg um 1,1 bis 1,2 Prozentpunkte nötig. Damit würden wir den Aufschwung gleich wieder drosseln und die Sozialgarantie wäre passé.
Der Bund hat auch kein Geld. Sehen Sie Spielraum, bei den Gesundheitskosten zu sparen? Peter: Ja. Die Pandemie hat Stärken und Schwächen im Gesundheitswesen aufgezeigt. Es werden immense Finanzmittel eingesetzt. Aber unser System ist schwerfällig, zu kompliziert. Es gibt Fehlanreize,
das Geld wird zum Teil in die falsche Richtung gelenkt, also verschwendet.
Wo gibt es Verschwendung? Peter: Wir brauchen zum Beispiel einen Umbau der Krankenhausstrukturen. Durch den Aus- und Aufbau von Schwerpunktzentren und Spezialkliniken mit guter personeller und apparativer Ausstattung wird die Behandlung gerade bei schweren Erkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt und Schlaganfall deutlich verbessert. Das muss nicht bedeuten, dass kleinere Kliniken schließen. Denn wir brauchen eine gute wohnortnahe Basisversorgung, insbesondere im ländlichen Raum. Hier wären Umbauten zu regionalen Gesundheitszentren mit ambulanten und stationären Angeboten und pflegerischen Leistungen denkbar. Damit verbessern wir die Pflegesituation in Kliniken und begegnen dem Pflegekräftemangel.