„Wir brauchen mehr Behandlungsplätze“
Psychotherapeut Enno Maaß aus Wittmund kritisiert Vorstoß von Gesundheitsminister Spahn
Wer in Deutschland eine Psychotherapie braucht, muss sich auf Wartezeiten einstellen, zumindest, wenn die Krankenkasse die Kosten übernehmen soll. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plante jüngst drastische Einschnitte für die psychotherapeutische Versorgung. Psychotherapeut Enno Maaß aus Wittmund kritisiert solche Vorstöße.
Gesundheitsminister Jens Spahn hatte jüngst Einschnitte in der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland geplant. Er wollte ein System einführen, wonach die Dauer der Therapie schon im Voraus festgelegt werden sollte. Der Vorschlag wurde nach Protesten nun wieder zurückgenommen. Warum der heftige Gegenwind?
Maaß: In der Psychotherapie unterscheiden sich die Erkrankungen individuell stark. Jemand kann mit einer Depression im Alltag noch gut funktionieren, während jemand auf dem Papier die gleiche Erkrankung hat, aber so in Schwierigkeiten geraten ist, dass der Aufwand in der Psychotherapie ungleich höher ist. Dieselbe Erkrankung kann mal 20 Stunden, mal aber auch 40 Stunden benötigen und nicht selten können sich im Behandlungsverlauf selbst vorher nicht bekannte Schwierigkeiten zeigen. Niemand würde sich erlauben vorzuschlagen, vorab festzulegen, wie lange eine Herz-OP dauern darf.
Wieso, meinen Sie, hat der Gesundheitsminister die Einschnitte vorgeschlagen? Maaß: Er glaubt wahrscheinlich, dadurch Wartezeiten verkürzen zu können. Es wurde aber offenbar noch nicht erkannt, dass psychische Erkrankungen
eine Volkskrankheit sind und wir schlichtweg mehr Behandlungsplätze bräuchten. Psychische Erkrankungen werden zwar vermehrt als großes Problem wahrgenommen. Wenn es aber konkret darum geht, das Behandlernetz entsprechend aufzustellen, heißt es: Mehr Geld gibt’s nicht.
Hat es weitere Vorschläge für Einsparungen gegeben? Maaß: Vor zwei Jahren wollte Jens Spahn den psychotherapeutischen Praxen sogenannte Lotsenpraxen vorneweg setzen. Die sollten vorab abschätzen, wie viele Sitzungen ein Patient voraussichtlich benötigen wird, die Patienten sollten dann den Behandlungspraxen zugesteuert werden. Die nach Gesundheitsminister Spahn sogenannten „leichten Fälle“sollten rausgefiltert und irgendwie anders versorgt werden. Nur eine Online-Petition an den Bundestag hat dies damals gerade noch verdann
hindern können. Obgleich auch dieser Vorschlag drastische Einschnitte bei der Versorgung psychisch erkrankter Menschen bedeutet hätte.
Was meint der Gesundheitsminister mit „leichten Fällen“? Maaß: Konkrete Beispiele, wer das sein könnte, nennt er nicht. Zahlreiche Untersuchungen zeigen allerdings, dass ambulant versorgte Psychotherapiepatienten
eine hohe Krankheitslast aufweisen. Seine Vorstellung ist wohl: Wenn man die leichten Fälle rausfiltert, stünden auf den Wartelisten ja nur noch die „schweren“Fälle, also weniger.
Wie könnte man das Problem der psychotherapeutischen Unterversorgung beheben? Maaß: Ich mag es fast gar nicht mehr sagen, weil es immer Gegenangriffe gibt, aber letztlich geht es vor allem durch mehr psychotherapeutische Praxen. Wir wollen ja nicht mehr Geld für uns selbst, sondern brauchen mehr Leute, weil wir sehen, wie die Menschen leiden.
Der Gesetzentwurf für die sogenannte Rasterpsychotherapie kam ohne die Einbeziehung von Fachverbänden. Was sagen Sie dazu?
Maaß: Das ist leider oft Politikstil unter Gesundheitsminister Jens Spahn. Von den Vorgängern kannte man das so nicht. Der Passus vor zwei Jahren kam quasi über Nacht, ohne Vorabsprache. Man erfährt das dann manchmal erst aus der Presse. Meines Erachtens ist das Taktik. Da werden immer wieder versteckt und über Nacht politische Gesetzespassagen reingebracht, in der Hoffnung, dass der Gegenwind nicht schnell genug organisiert werden kann. Das ist wirklich ganz, ganz schwierig.