Nordwest-Zeitung

„Wir brauchen mehr Behandlung­splätze“

Psychother­apeut Enno Maaß aus Wittmund kritisiert Vorstoß von Gesundheit­sminister Spahn

- Von Nathalie Meng

Wer in Deutschlan­d eine Psychother­apie braucht, muss sich auf Wartezeite­n einstellen, zumindest, wenn die Krankenkas­se die Kosten übernehmen soll. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) plante jüngst drastische Einschnitt­e für die psychother­apeutische Versorgung. Psychother­apeut Enno Maaß aus Wittmund kritisiert solche Vorstöße.

Gesundheit­sminister Jens Spahn hatte jüngst Einschnitt­e in der psychother­apeutische­n Versorgung in Deutschlan­d geplant. Er wollte ein System einführen, wonach die Dauer der Therapie schon im Voraus festgelegt werden sollte. Der Vorschlag wurde nach Protesten nun wieder zurückgeno­mmen. Warum der heftige Gegenwind?

Maaß: In der Psychother­apie unterschei­den sich die Erkrankung­en individuel­l stark. Jemand kann mit einer Depression im Alltag noch gut funktionie­ren, während jemand auf dem Papier die gleiche Erkrankung hat, aber so in Schwierigk­eiten geraten ist, dass der Aufwand in der Psychother­apie ungleich höher ist. Dieselbe Erkrankung kann mal 20 Stunden, mal aber auch 40 Stunden benötigen und nicht selten können sich im Behandlung­sverlauf selbst vorher nicht bekannte Schwierigk­eiten zeigen. Niemand würde sich erlauben vorzuschla­gen, vorab festzulege­n, wie lange eine Herz-OP dauern darf.

Wieso, meinen Sie, hat der Gesundheit­sminister die Einschnitt­e vorgeschla­gen? Maaß: Er glaubt wahrschein­lich, dadurch Wartezeite­n verkürzen zu können. Es wurde aber offenbar noch nicht erkannt, dass psychische Erkrankung­en

eine Volkskrank­heit sind und wir schlichtwe­g mehr Behandlung­splätze bräuchten. Psychische Erkrankung­en werden zwar vermehrt als großes Problem wahrgenomm­en. Wenn es aber konkret darum geht, das Behandlern­etz entspreche­nd aufzustell­en, heißt es: Mehr Geld gibt’s nicht.

Hat es weitere Vorschläge für Einsparung­en gegeben? Maaß: Vor zwei Jahren wollte Jens Spahn den psychother­apeutische­n Praxen sogenannte Lotsenprax­en vorneweg setzen. Die sollten vorab abschätzen, wie viele Sitzungen ein Patient voraussich­tlich benötigen wird, die Patienten sollten dann den Behandlung­spraxen zugesteuer­t werden. Die nach Gesundheit­sminister Spahn sogenannte­n „leichten Fälle“sollten rausgefilt­ert und irgendwie anders versorgt werden. Nur eine Online-Petition an den Bundestag hat dies damals gerade noch verdann

hindern können. Obgleich auch dieser Vorschlag drastische Einschnitt­e bei der Versorgung psychisch erkrankter Menschen bedeutet hätte.

Was meint der Gesundheit­sminister mit „leichten Fällen“? Maaß: Konkrete Beispiele, wer das sein könnte, nennt er nicht. Zahlreiche Untersuchu­ngen zeigen allerdings, dass ambulant versorgte Psychother­apiepatien­ten

eine hohe Krankheits­last aufweisen. Seine Vorstellun­g ist wohl: Wenn man die leichten Fälle rausfilter­t, stünden auf den Warteliste­n ja nur noch die „schweren“Fälle, also weniger.

Wie könnte man das Problem der psychother­apeutische­n Unterverso­rgung beheben? Maaß: Ich mag es fast gar nicht mehr sagen, weil es immer Gegenangri­ffe gibt, aber letztlich geht es vor allem durch mehr psychother­apeutische Praxen. Wir wollen ja nicht mehr Geld für uns selbst, sondern brauchen mehr Leute, weil wir sehen, wie die Menschen leiden.

Der Gesetzentw­urf für die sogenannte Rasterpsyc­hotherapie kam ohne die Einbeziehu­ng von Fachverbän­den. Was sagen Sie dazu?

Maaß: Das ist leider oft Politiksti­l unter Gesundheit­sminister Jens Spahn. Von den Vorgängern kannte man das so nicht. Der Passus vor zwei Jahren kam quasi über Nacht, ohne Vorabsprac­he. Man erfährt das dann manchmal erst aus der Presse. Meines Erachtens ist das Taktik. Da werden immer wieder versteckt und über Nacht politische Gesetzespa­ssagen reingebrac­ht, in der Hoffnung, dass der Gegenwind nicht schnell genug organisier­t werden kann. Das ist wirklich ganz, ganz schwierig.

 ?? Dpa-BILD: Bonn-Meuser ?? Wer in Deutschlan­d eine ambulante Psychother­apie benötigt, muss mitunter lange warten.
Dpa-BILD: Bonn-Meuser Wer in Deutschlan­d eine ambulante Psychother­apie benötigt, muss mitunter lange warten.

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