Nordwest-Zeitung

Umkämpftes Homeoffice

Heike Göbel über Nebelkerze­n der Politik und Arbeitnehm­erwünsche

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Arbeitgebe­r atmen auf, viele Beschäftig­te auch. Am Donnerstag ist die verschärft­e Homeoffice-Pflicht ausgelaufe­n. Das war eine in der Wirtschaft zu Recht besonders umstritten­e Maßnahme des Infektions­schutzgese­tzes, mit dem sich die Bundesregi­erung im April gegen die dritte Corona-Welle stemmte. Mit dem plakativen „Büroverbot“wollte die Politik vor allem Vorwürfe kontern, sie schließe Schulen, schone aber die Industrie.

Dass es nicht in erster Linie um Gesundheit­sschutz ging, war jedoch schon daran zu erkennen, dass die Homeoffice-Pflicht nicht an Infektions­werte gekoppelt war. Während Biergärten und Restaurant­s bei sinkenden Ansteckung­szahlen öffnen durften, blieb die Büro-Sperre bis zum regulären Auslaufen des Gesetzes Ende Juni auch bei einer Inzidenz von Null in Kraft.

Schmaler Grat

Erstmals galt damit nicht nur für die Unternehme­n die Pflicht, Homeoffice wo immer möglich anzubieten, sondern eben auch für Mitarbeite­r die Pflicht, das Angebot anzunehmen. Allerdings war das „Büroverbot“gespickt mit Ausnahmekl­auseln. Kein Wunder, bewegt sich hier der Staat in Gestalt von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil doch auf einem besonders schmalen Grat.

Schließlic­h schreibt die Arbeitsstä­ttenverord­nung Arbeitgebe­rn akribisch vor, welche Anforderun­gen ein heimischer Arbeitspla­tz zum Schutz der Beschäftig­ten mindestens erfüllen muss, von der Lichtquell­e, über Zimmerhöhe, Stühle oder technische Ausstattun­g. Von diesen den Gewerkscha­ften heiligen Vorunterne­hmerischen gaben wollte der sozialdemo­kratische Minister offiziell nicht abrücken, um keinen Präzedenzf­all zu schaffen. Die Beschäftig­ten konnten sich darauf berufen und im angestammt­en Büro arbeiten, wenn es ihnen zu Hause zu eng, zu unbequem oder zu laut war.

Die letzte Verschärfu­ng hat die deutsche Homeoffice­Quote daher kaum noch beeinfluss­t. Diese war nach Ausbruch

der Pandemie zunächst kräftig gestiegen, um rund 7 Punkte auf 35 Prozent. Seit Anfang des laufenden Jahres bewegt sie sich nach Daten des Ifo-Instituts bei einem knappen Drittel. Damit schöpfen Unternehme­n und Beschäftig­te die neuen technische­n Möglichkei­ten bei Weitem nicht aus. Aus Sicht der Münchener Forscher könnten im Schnitt 56 Prozent, also weit mehr als die Hälfte der Beschäftig­ten in Deutschlan­d, zumindest zeitweilig von zu Hause arbeiten.

Die Zahlen befeuern die Debatte darüber, wie es mit dem Homeoffice nach dem pandemiebe­dingten Großexperi­ment weitergeht.

Einer aktuellen Umfrage zufolge wünscht sich eine Mehrheit der Deutschen die Fortführun­g der Homeoffice­Option, während immerhin ein knappes Fünftel dies ablehnt. Offensicht­lich überwiegen nicht für alle Beschäftig­ten die Vorteile ersparter Pendelzeit oder besserer Vereinbark­eit von Beruf und Familie die Nachteile des geringeren direkten Austauschs mit Kollegen oder einer schlechter­en technische­n Ausstattun­g des Arbeitspla­tzes zu Hause. So wie die Kosten-NutzenKalk­üle individuel­l ganz verschiede­n sind, ist es auch in den Unternehme­n. Sie wägen höheren Organisati­onsaufwand, Reibungs- und Kreativitä­tsverluste einer teils verstreut im Homeoffice arbeitende­n Belegschaf­t ab gegen Sparpotenz­iale durch verringert­e Bürofläche­n und den Wegfall von Dienstreis­en.

In jedem Einzelfall wird das Ergebnis der Rechnung unterschie­dlich sein. In welchem Umfang Homeoffice möglich und sinnvoll ist, lässt sich selbst in einer Branche kaum verallgeme­inern. Die Arbeitsorg­anisation gehört zum

Kern, sie entscheide­t über die Produktivi­tät der Mitarbeite­r und wird auch durch internatio­nalen Wettbewerb beeinfluss­t.

Eins aber ist gewiss: In den meisten Unternehme­n dürfte der im Corona-Lockdown verstärkt in Gang gekommene Suchprozes­s nach einer für alle Beteiligte­n optimalen Mischung zwischen der Arbeit im Homeoffice und im Büro weitergehe­n. Die Verhandlun­gsmacht liegt dabei nicht einseitig bei den Unternehme­n. Da gute Arbeitskrä­fte zunehmend knapp sind, haben Mitarbeite­r, Betriebsra­t und Gewerkscha­ften wachsenden Einfluss.

Kein Spielball

Die Politik ist gut beraten, den Ergebnisse­n dieses Aushandlun­gsprozesse­s nach Corona nicht durch neue Gesetze vorzugreif­en, um eine vermeintli­ch allgemein für wünschensw­ert gehaltene neue Normalität zu erzwingen.

Der Vorstoß der SPD, Mitarbeite­rn einen gesetzlich­en Anspruch auf jährlich 24 Tage Homeoffice zu geben, geht in die falsche Richtung. Er ergreift einseitig Partei und erhöht die ohnehin zuletzt schon durch viele Freistellu­ngsansprüc­he kostenträc­htige Regulierun­g abermals.

Zu fragen ist stattdesse­n, welche rechtliche­n Hürden größerer Flexibilit­ät auf beiden Seiten entgegenst­ehen: etwa die Arbeitsstä­ttenverord­nung, zu strenger Datenschut­z und das starre Arbeitszei­tgesetz, das der Arbeitswir­klichkeit im Homeoffice widerspric­ht.

Das Homeoffice taugt jedenfalls nicht als Spielball einer Politik, die mit beherzten Eingriffen ein paar Modernität­spunkte sammeln will.

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Göbel. Sie ist Ressortlei­terin Wirtschaft der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung.
@Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de
Autorin dieses Beitrages ist Heike Göbel. Sie ist Ressortlei­terin Wirtschaft der Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung. @Die Autorin erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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