Inzidenz steigt erstmals seit Wochen
Neue Variante als Ursache vermutet – Expertin mahnt schnelle Eindämmung an
Berlin – Es ist eingetreten, was Expertinnen und Experten befürchtet hatten: Während der Anteil der ansteckenderen Delta-Variante wächst, hat sich der Sinkflug der Corona-Zahlen abgebremst. Erstmals seit Anfang Juni ist die Sieben-Tage-Inzidenz im Vergleich zum Vortag sogar gestiegen, wenn auch gering.
Das Robert Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche am Sonntagmorgen mit 5,0 an. Am Vortag hatte der Wert noch bei 4,9 gelegen.
Mehr als 500 Infektionen
Die Corona-Zahlen sind insgesamt nach wie vor sehr niedrig und schwanken zuweilen, doch zwei weitere Werte deuten auf ein Ende des starken Rückgangs hin: Am zweiten Tag in Folge lag die Zahl der Neuinfektionen höher als am gleichen Tag der Vorwoche. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 559 Corona-Neuinfektionen. Vor einer Woche waren es noch 538.
Auch der R-Wert, der zeigt, wie viele Menschen ein Infizierter im Schnitt ansteckt, war zuletzt gestiegen und hatte nach RKI-Angaben vom Freitagabend 1 erreicht – so hoch lag er mehr als zwei Monate lang nicht mehr. So hatten Modellierer und Virologen davor gewarnt, dass die erstmals in Indien nachgewiesene Delta-Variante (B.1.617.2) die recht entspannte Corona-Lage wieder verschärfen könnte.
Vor allem seit Ende Mai war der Anteil von Delta an den Neuinfektionen in Deutschland deutlich gestiegen. Mittlerweile geht nach RKI-Schätzung mindestens die Hälfte der Neuinfektionen auf die Mutante zurück, wie es in seinem aktuellen Variantenbericht schreibt. Die jüngsten bisher verfügbaren Daten belegen für die Woche vom 14. bis 20. Juni einen Anteil von 37
Prozent an den untersuchten Proben.
Viele Tests
Auch die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek sagte am Dienstag im Podcast „Coronavirus-Update“(NDR-Info), sie nehme an, dass Delta bereits in bestimmten Gebieten, vielleicht sogar deutschlandweit vorherrschend sei. In Frankfurt habe es einen relativ großen Ausbruch gegeben. Dieser sei ähnlich verlaufen, wie es schon in Großbritannien beobachtet worden sei: „Es fing in der Schule an und hat sich dann weiter ausgebreitet.“Ciesek mahnte für Deutschland eine schnelle Eindämmung mit Tests und Quarantäne an.
Auch wenn es sich bei dem am Sonntag gemeldeten Wert um eine gewöhnliche Schwankung oder den bei niedriger Inzidenz größeren Einfluss einzelner, größerer
Ausbrüche handeln könnte: Eine genauere Betrachtung der Entwicklung der Delta-Fälle deutet durchaus darauf hin, dass die Zahlen nun tatsächlich weiter steigen könnten. Denn während sich immer weniger Menschen mit der zuletzt vorherrschenden AlphaVariante anstecken, steigt die absolute Zahl der nachgewiesenen Delta-Infektionen laut RKI in den vergangenen Wochen an: Nachdem in der Woche vom 31. Mai bis zum 6. Juni
noch 410 solche Ansteckungen erfasst wurden, bekam das RKI nach jüngsten Daten vom 14. bis 20. Juni 724 gemeldet. Dabei wird nur ein Teil der Corona-Proben auf die Varianten getestet.
Andere Effekte wichtig
Auf die Entwicklung der Inzidenz wirken neben den Varianten aber auch noch andere Effekte. So hatten Fachleute darauf hingewiesen, dass sich der zunächst so rasche Rückgang schon aus mathematischen Gründen verlangsamt. Zudem galt es durchaus als erwartbar, dass die Fallzahlen ein Plateau erreichen und nicht auf null gehen. Corona dürfte schließlich nicht so schnell wieder komplett verschwinden. So schwankte die Inzidenz selbst im Juni und Juli 2020 um 3.
Noch schwer zu beurteilen ist bisher, was weiter steigende Delta-Zahlen für Deutschlands Krankenhäuser bedeuten könnten. „Wir haben noch nicht genügend Daten, um wirklich klar zu sagen, wie gefährlich oder ungefährlich (...) sie ist“, hatte RKI-Chef Lothar Wieler gesagt, und von ersten Hinweisen auf mehr Krankenhausbehandlungen gesprochen. Nach RKI-Angaben trifft die Variante bislang eher Menschen unter 60. Ihr Risiko für schwere Verläufe gilt als geringer.