Tägliche Corona-Tests zum Start des Schuljahrs
Wie Ausbrüche in Klassenzimmern verhindert werden sollen
Hannover/Oldenburg – Schülerinnen und Schüler müssen sich in Niedersachsen nach den Sommerferien zum Schulstart auf tägliche Corona-Tests einstellen. „Wir werden mindestens am Anfang des Schuljahres eine tägliche Testung vorsehen“, sagte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Mittwoch in Hannover. Man wisse, dass sich gerade in der jüngeren Generation das Virus verbreite. Gleichzeitig sei die Impfquote in dieser Altersgruppe noch vergleichsweise gering.
Nach Angaben des Gesundheitsministeriums lag die Sieben-Tage-Inzidenz zuletzt bei Zwölf- bis 17-Jährigen bei 24,8. Bei über 60-Jährigen betrug sie lediglich 2,3. Dieser Wert gibt die Zahl der Menschen pro 100 000 Einwohner an, die sich innerhalb einer Woche mit dem Coronavirus angesteckt haben.
Auch bei der Impfquote gibt es große Unterschiede: Während die Altersgruppe über 60 Jahre zu mehr als 81 Prozent vollständig geimpft ist, bekamen von den Jüngeren zwischen zwölf und 17 Jahren bislang nur 28 Prozent eine erste Spritze – wenngleich das ein bundesweiter Spitzenwert ist.
Weil sagte, er sei nach wie vor der Auffassung, dass es gut sei, wenn sich Kinder und Jugendliche in diesem Alter impfen ließen. In Niedersachsen habe man deshalb schon früh die Möglichkeit für eine Kinder- und Jugendimpfung geschaffen. Letztlich bleibe das aber Entscheidung der Eltern und Ärzte. „Ich hoffe, dass sehr schnell auch ein Impfstoff zugelassen wird für die unter Zwölfjährigen“, sagte er.
Die Stadt Oldenburg startet indes an diesem Freitag eine Sonderimpfaktion für Zwölfbis 17-Jährige im Impfzentrum.
Einer der Fachärzte vor Ort ist der ehemalige Direktor der Kinderklinik am Oldenburger Klinikum, Prof. Dr. Jürgen Seidenberg. Seiner Ansicht nach hat das Hin und Her zwischen Gesundheitsministern und Ständiger Impfkommission die Unsicherheit bei Eltern vergrößert. Mit Blick auf die Aktion in der Weser-Ems-Halle äußert er sich zu den Risiken der Impfung für Kinder und Jugendliche.
Oldenburg – Hätte er eigene Kinder im Alter zwischen zwölf und 17, würde er ihnen eine Impfung gegen Covid-19 „sehr empfehlen“, wird Prof. Dr. Jürgen Seidenberg in einer Mitteilung der Stadt zitiert. Der ehemalige Direktor der Oldenburger Kinderklinik ist einer von mehreren Fachärzten, die am Freitag bei der Sonderimpfaktion für Kinder und Jugendliche Aufklärungsgespräche führen und die Impfungen verabreichen werden. Ihm ist aber auch die Unsicherheit bewusst, die viele Eltern umtreibt.
Was spricht für eine Impfung
Die vorliegenden Daten der Impfstoffe von Biontech und Moderna zeigten eine überragende Wirksamkeit von über 90 Prozent und bisher nur extrem selten Impfkomplikationen, so Seidenberg. Bei 60,4 Millionen verimpften Dosen seien bisher nur 204 Fälle von Herzmuskel- oder -beutelentzündung berichtet worden, bei jüngeren Patienten ohne Langzeitfolgen. Ebenso extrem selten traten demnach Nervenentzündungen mit vorübergehender Teillähmung im Gesichts- oder Armbereich auf, die sich nach einigen Wochen zurückbildeten. Hingegen sei bekannt, dass diese Komplikationen bei Covid-Erkrankten wesentlich häufiger auftreten. „Zudem, wenn auch selten – das heißt, in nur einem von 2500 Fällen – tritt insbesondere bei Kindern und Jugendlichen nach einer Coronainfektion das sogenannte PIMS (Pädiatrisches multisystemisches Entzündungssyndrom) auf, bei dem eine schwere Herzmuskelentzündung zu akutem Herzkreislaufversagen führen kann.“
Was spricht gegen eine Impfung
„Die Ständige Impfkommission (Stiko) verweist in ihrer Empfehlung gegen eine ,generelle’ Impfung aller Kinderund Jugendlichen darauf, dass
diese Altersgruppe trotz Infektion nur selten schwer erkrankt und intensiv behandelt werden muss“, so Seidenberg. Nur etwa eines von 100 Kindern müsse im Krankenhaus behandelt werden. Todesfälle seien sehr selten. Die Kinder würden sich von der Erkrankung meist rasch und folgenlos erholen. Das Risiko einer PIMS sei sehr niedrig und das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung sei noch nicht ausreichend geklärt. Somit schätze die Stiko die beiden insgesamt seltenen Risiken als niedrig und nicht ausreichend belegt ein, um eine generelle Impfempfehlung auszusprechen.
Ist das Risiko durch Covid-19 höher als durch die Impfung
Es gebe täglich eine Flut von neuen Informationen, die auch die Stiko veranlasse, in circa zehn Tagen ihre bisherige Stellungnahme zu überarbeiten.
Insofern lasse sich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit sagen. „Aus meiner Sicht beunruhigend sind neuere Daten zu Long-Covid bei Kindern und Jugendlichen. Diese Langzeitkomplikation nach einer Coronainfektion tritt laut einer englischen Studie bei circa 14 Prozent der Kinder und Jugendlichen auf – und das auch, wenn sie zuvor nur mild an dem Coronavirus erkrankt waren.“
Was sollen Eltern tun, die Zweifel haben
Sowohl Ärzte als auch Patienten stünden in dem Dilemma, dass die aktuelle Datenlage keine definitiven Aussagen zu den Langzeitrisiken sowohl der Coronainfektion als auch der neuen Impfstrategien geben könne, ist sich Seidenberg bewusst.
„Das verunsichert, und ich kann gut verstehen, dass man lieber abwarten möchte.“Aufgrund der sich rasch ausbreitenden Deltavariante erhöhe sich aber gerade für ungeimpfte Kinder und Jugendliche das Risiko, sich zu infizieren oder zu erkranken, so dass man mit Entscheidungen nicht ewig warten könne.
„Somit müssen aufgrund der aktuellen Kenntnisse Entscheidungen getroffen werden, die ein gewisses Restrisiko beinhalten.“Dies sei sehr schwierig und anstrengend, da unterschiedliche Informationen und Meinungen vorlägen, denen man nicht einfach blind folgen, sondern vertrauen wolle. Jeder müsse die Risiken in Erfahrung bringen und für sich oder sein Kind individuell unterschiedlich gewichten. Die Stadt verweist darauf, dass für die Beratung extra viel Zeit eingeplant werde. Eine Ablehnung der Impfung sei auch nach dem Aufklärungsgespräch weiterhin möglich.