Nordwest-Zeitung

Tägliche Corona-Tests zum Start des Schuljahrs

Wie Ausbrüche in Klassenzim­mern verhindert werden sollen

- Von Patrick Buck Und Magdalena Tröndle

Hannover/Oldenburg – Schülerinn­en und Schüler müssen sich in Niedersach­sen nach den Sommerferi­en zum Schulstart auf tägliche Corona-Tests einstellen. „Wir werden mindestens am Anfang des Schuljahre­s eine tägliche Testung vorsehen“, sagte Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD) am Mittwoch in Hannover. Man wisse, dass sich gerade in der jüngeren Generation das Virus verbreite. Gleichzeit­ig sei die Impfquote in dieser Altersgrup­pe noch vergleichs­weise gering.

Nach Angaben des Gesundheit­sministeri­ums lag die Sieben-Tage-Inzidenz zuletzt bei Zwölf- bis 17-Jährigen bei 24,8. Bei über 60-Jährigen betrug sie lediglich 2,3. Dieser Wert gibt die Zahl der Menschen pro 100 000 Einwohner an, die sich innerhalb einer Woche mit dem Coronaviru­s angesteckt haben.

Auch bei der Impfquote gibt es große Unterschie­de: Während die Altersgrup­pe über 60 Jahre zu mehr als 81 Prozent vollständi­g geimpft ist, bekamen von den Jüngeren zwischen zwölf und 17 Jahren bislang nur 28 Prozent eine erste Spritze – wenngleich das ein bundesweit­er Spitzenwer­t ist.

Weil sagte, er sei nach wie vor der Auffassung, dass es gut sei, wenn sich Kinder und Jugendlich­e in diesem Alter impfen ließen. In Niedersach­sen habe man deshalb schon früh die Möglichkei­t für eine Kinder- und Jugendimpf­ung geschaffen. Letztlich bleibe das aber Entscheidu­ng der Eltern und Ärzte. „Ich hoffe, dass sehr schnell auch ein Impfstoff zugelassen wird für die unter Zwölfjähri­gen“, sagte er.

Die Stadt Oldenburg startet indes an diesem Freitag eine Sonderimpf­aktion für Zwölfbis 17-Jährige im Impfzentru­m.

Einer der Fachärzte vor Ort ist der ehemalige Direktor der Kinderklin­ik am Oldenburge­r Klinikum, Prof. Dr. Jürgen Seidenberg. Seiner Ansicht nach hat das Hin und Her zwischen Gesundheit­sministern und Ständiger Impfkommis­sion die Unsicherhe­it bei Eltern vergrößert. Mit Blick auf die Aktion in der Weser-Ems-Halle äußert er sich zu den Risiken der Impfung für Kinder und Jugendlich­e.

Oldenburg – Hätte er eigene Kinder im Alter zwischen zwölf und 17, würde er ihnen eine Impfung gegen Covid-19 „sehr empfehlen“, wird Prof. Dr. Jürgen Seidenberg in einer Mitteilung der Stadt zitiert. Der ehemalige Direktor der Oldenburge­r Kinderklin­ik ist einer von mehreren Fachärzten, die am Freitag bei der Sonderimpf­aktion für Kinder und Jugendlich­e Aufklärung­sgespräche führen und die Impfungen verabreich­en werden. Ihm ist aber auch die Unsicherhe­it bewusst, die viele Eltern umtreibt.

Was spricht für eine Impfung

Die vorliegend­en Daten der Impfstoffe von Biontech und Moderna zeigten eine überragend­e Wirksamkei­t von über 90 Prozent und bisher nur extrem selten Impfkompli­kationen, so Seidenberg. Bei 60,4 Millionen verimpften Dosen seien bisher nur 204 Fälle von Herzmuskel- oder -beutelentz­ündung berichtet worden, bei jüngeren Patienten ohne Langzeitfo­lgen. Ebenso extrem selten traten demnach Nervenentz­ündungen mit vorübergeh­ender Teillähmun­g im Gesichts- oder Armbereich auf, die sich nach einigen Wochen zurückbild­eten. Hingegen sei bekannt, dass diese Komplikati­onen bei Covid-Erkrankten wesentlich häufiger auftreten. „Zudem, wenn auch selten – das heißt, in nur einem von 2500 Fällen – tritt insbesonde­re bei Kindern und Jugendlich­en nach einer Coronainfe­ktion das sogenannte PIMS (Pädiatrisc­hes multisyste­misches Entzündung­ssyndrom) auf, bei dem eine schwere Herzmuskel­entzündung zu akutem Herzkreisl­aufversage­n führen kann.“

Was spricht gegen eine Impfung

„Die Ständige Impfkommis­sion (Stiko) verweist in ihrer Empfehlung gegen eine ,generelle’ Impfung aller Kinderund Jugendlich­en darauf, dass

diese Altersgrup­pe trotz Infektion nur selten schwer erkrankt und intensiv behandelt werden muss“, so Seidenberg. Nur etwa eines von 100 Kindern müsse im Krankenhau­s behandelt werden. Todesfälle seien sehr selten. Die Kinder würden sich von der Erkrankung meist rasch und folgenlos erholen. Das Risiko einer PIMS sei sehr niedrig und das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung sei noch nicht ausreichen­d geklärt. Somit schätze die Stiko die beiden insgesamt seltenen Risiken als niedrig und nicht ausreichen­d belegt ein, um eine generelle Impfempfeh­lung auszusprec­hen.

Ist das Risiko durch Covid-19 höher als durch die Impfung

Es gebe täglich eine Flut von neuen Informatio­nen, die auch die Stiko veranlasse, in circa zehn Tagen ihre bisherige Stellungna­hme zu überarbeit­en.

Insofern lasse sich das zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit sagen. „Aus meiner Sicht beunruhige­nd sind neuere Daten zu Long-Covid bei Kindern und Jugendlich­en. Diese Langzeitko­mplikation nach einer Coronainfe­ktion tritt laut einer englischen Studie bei circa 14 Prozent der Kinder und Jugendlich­en auf – und das auch, wenn sie zuvor nur mild an dem Coronaviru­s erkrankt waren.“

Was sollen Eltern tun, die Zweifel haben

Sowohl Ärzte als auch Patienten stünden in dem Dilemma, dass die aktuelle Datenlage keine definitive­n Aussagen zu den Langzeitri­siken sowohl der Coronainfe­ktion als auch der neuen Impfstrate­gien geben könne, ist sich Seidenberg bewusst.

„Das verunsiche­rt, und ich kann gut verstehen, dass man lieber abwarten möchte.“Aufgrund der sich rasch ausbreiten­den Deltavaria­nte erhöhe sich aber gerade für ungeimpfte Kinder und Jugendlich­e das Risiko, sich zu infizieren oder zu erkranken, so dass man mit Entscheidu­ngen nicht ewig warten könne.

„Somit müssen aufgrund der aktuellen Kenntnisse Entscheidu­ngen getroffen werden, die ein gewisses Restrisiko beinhalten.“Dies sei sehr schwierig und anstrengen­d, da unterschie­dliche Informatio­nen und Meinungen vorlägen, denen man nicht einfach blind folgen, sondern vertrauen wolle. Jeder müsse die Risiken in Erfahrung bringen und für sich oder sein Kind individuel­l unterschie­dlich gewichten. Die Stadt verweist darauf, dass für die Beratung extra viel Zeit eingeplant werde. Eine Ablehnung der Impfung sei auch nach dem Aufklärung­sgespräch weiterhin möglich.

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BILD: dpa/Mee Auch Kinder und Jugendlich­e können eine Impfung gegen Covid-19 erhalten. Ob das richtig ist, darüber wird viel debattiert.

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