Biden in den USA stark unter Druck
Schuldfrage Thema in der Bevölkerung – Mehrheit ist mit Präsident unzufrieden
Washington – Im kommenden Monat soll das erste Kind des US-Marinesoldaten Rylee McCollum zur Welt kommen. Den Vater wird es nie zu sehen bekommen. Der 20-Jährige war einer von 13 amerikanischen Militärangehörigen, die letzten Donnerstag durch den Sprengsatz eines Selbstmordattentäters am Flughafen Kabul getötet wurden. Die Namen der Gefallen sind seitdem durch die sozialen Medien tausendfach multipliziert worden. Und für die Ausbildung und Zukunft von Rylee McCollums ungeborenem Kind spendeten Menschen quer durch die USA in weniger als 24 Stunden umgerechnet mehr als 250000 Euro. Präsident Joe Biden kommt bei Analysen nicht gut weg.
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Kabul-Strategie
Mitarbeiter des Weißen Hauses haben Mitgliedern des
Pressekorps Berichten zufolge anonym anvertraut: Die Regierung setze nun darauf, dass das ungeliebte Thema Afghanistan bald von der Bildfläche verschwinde und andere Schwerpunkte – wie Covid 19 – wieder die Medien dominieren würden. Doch diese Hoffnung könnte trügerisch sein. Denn obwohl sich Biden – der am Samstag vor weiteren Anschlägen warnte – weigert, auch nur für eine der vielen mit dem Abzug verbundenen strategischen Fehlentscheidungen die Verantwortung zu übernehmen, hat in seiner Partei angesichts der sinkenden Zustimmungswerte für den Präsidenten das Bangen um die langfristige politische Zukunft begonnen. Die „New York Times“berichtet von Überlegungen von Kongressmitgliedern, Biden zur Entlassung seines nationalen Sicherheitsberaters Jake Sullivan zu drängen, um etwas Druck abzuwehren. Doch Biden wehrt sich bisher standhaft gegen eine Trennung von Sullivan.
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Kongresswahlen
Während unter Republikanern die Begriffe „Rücktritt“und „Amtsenthebung“zu nicht mehr von Biden zu trennenden Modeworten geworden sind, fürchten die Demokraten vor allem den Verlust der so wichtigen als politisch gemäßigt geltenden Wechselwähler, die 2020 Biden zum Sieg über Donald Trump verholfen hatten. Obwohl die Kongress-Zwischenwahlen noch mehr als ein Jahr in der Zukunft liegen, könnten sich die angesichts des Afghanistan-Fiaskos sinkenden Sympathiewerte für Biden weiter im Sinkflug halten, wenn sich die Sicherheitslage am Hindukusch verschlechtert und sich auch die Situation in Sachen Coronavirus in den USA nicht deutlich verbessert.
In der vergangenen Woche hatte eine Umfrage von Reuters/Ipsos belegt, dass zum ersten Mal mehr Amerikaner mit der Arbeit des Präsidenten unzufrieden sind als zufrieden. Und die Zustimmung für Bidens Umgang mit der Covid 19-Krise sank von Juni bis August dieses Jahres gleich um 21 Prozent. Nun hoffen die Demokraten mit Blick auf die knappen Mehrheiten im Kongress auf rasche Normalität auch in Sachen Afghanistan. Doch ob das Gedächtnis der US-Bürger mit Blick auf die Schock-Bilder vom Hindukusch kurz sein wird, ist fraglich.
Am Wochenende legten Hunderte Restaurantbesitzer quer durch die USA in ihren Gaststätten an einem großen reservierten Tisch 13 Extra-Gedecke aus und stellten an jedem meist mit einem Sternenbanner-Fähnchen geschmückten Sitzplatz ein Bier auf – ein letztes stilles wie ergreifendes Gedächtnis für die am Flughafen Kabul gefallenen Militärangehörigen.