Sprung vom Mittelalter in die Moderne
Innenstadt gibt am Eröffnungsabend einen Rahmen für weit schwingende Fantasie
Bremen – Wer die Augen schließt, kann sie vielleicht sehen: Männer in Kettenhemden und Mönche in Kutten, Fackeln an den Wänden einer Kathedrale, und vielleicht schaut Robin Hood zur Tür herein. Geradezu bildlich und assoziativ können die altenglischen Gesänge aus dem 15. und 16. Jahrhundert wirken, wenn sie so großartig gesungen werden wie von den Gesualdo Six.
Spiel mit Raumklang
Kristallin und rein schweben die Akkorde durch St. Johann im Bremer Schnoor, mit variablen Aufstellungen spielen die Sänger mit dem Raumklang der Kirche. Von den Motetten der Tudor-Zeit wischen sie mit großen Bögen, mit ihrer Stimmschönheit und ihrer Dynamik allen Staub. Solch Klangmeditationen waren indes nur ein Aspekt der „Großen Nachtmusik“, der schon traditionellen Eröffnungsnacht des Musikfestes Bremen. Zwischen Dom, Rathaus und Glocke wurde Bremens gute Stube an neun Spielstätten in Klang versetzt, 18 Konzerte in zwei Zeitschienen boten dabei große Vielfalt. Dass dabei ein Schwerpunkt bei Alter Musik und Originalklang lag, hat sicher auch mit Thomas Albert zu tun: Der Intendant des Musikfests entstammt selbst der Historischen Aufführungspraxis und schafft es immer wieder, hochkarätige Künstlerinnen und Künstler aus der Szene zum Musikfest zu holen. An diesem Abend musizierte das schon legendäre Ensemble Europa Galante mit seinem Leiter Fabio Biondi im Kleinen Saal der Glocke und ließ, passend zur Veranstaltung, Mozarts Kleine Nachtmusik hören.
Von Händel bis Bach
Auch nebenan gab es Mozart: Das Orchester Les Siècles mit Dirigent François-Xavier Roth spielte im großen Glocke-Saal auf historischen Instrumenten und umgarnte die gefeierte junge Sopranistin Sabine Devieilhe in Konzertarien Mozarts. Den Bremer Dom erfüllte hingegen das schottische Dunedin Consort, das ebenfalls auf historischem Instrumentarium spielt, mit Klängen von Purcell und Händel, während Cellist Nicolas Altstaedt mit Suiten Bachs den sensiblen kammermusikalischen Part in der Unser Lieben Frauen Kirche übernahm.
Mitten hinein in die klassischen Beiträge setzten die Musikfestmacher einige gezielte Akzente mit populärer Musik. Die französische Band Electro Deluxe zum Beispiel, die funky Grooves mit Soul und Elektronik verbindet. Oder, im Innenhof des Atlantic Grand Hotels, das Jazztrio Shalosh: Mit zündender Spielfreude und erheblicher Bühnenpräsenz verschmelzen drei junge Jerusalemer Musiker unzählige Einflüsse zu einem ganz eigenen, melodiösen, funkensprühenden und tanzbaren Sound. Auch das ein Highlight in der klangerfüllten und bis in die Nacht belebten Bremer Altstadt, die für das Musikfest von Illuminationen des Lichtkünstlers Christian Weißkircher auch optisch in Szene gesetzt wurde.