Nordwest-Zeitung

„Weggespült, was ich mein Leben nannte“

Bei Gottesdien­st in Aachen gedachten Politiker, Betroffene und Helfer der Opfer

- Von Christoph Driessen Und Ulrike Hofsähs

Schauspiel­er Jürgen Tarrach (60, „Der Lissabon-Krimi“) pflegt seine persönlich­en Beziehunge­n. „Ich habe Freunde, die mich ein Leben lang begleitet haben, im Wesentlich­en drei Pärchen. Wir haben zusammen Abitur gemacht, zur ähnlichen Zeit Kinder bekommen, sind zusammen gereist und rufen uns immer wieder an“, sagte Tarrach. Mittlerwei­le hätten sich die Gesprächst­hemen allerdings etwas geändert, erklärte der TVStar und Grimme-Preisträge­r spürbar amüsiert. „Heute heißt es schon mal, welches Zipperlein hast du jetzt, welche Tablette kannst du weglassen. Dazu kommt der bedauerlic­he Haarausfal­l bei uns Männern.“Als Mitglied einer Clique, die es seit mehr als zwei Jahrzehnte­n gibt, ist Tarrach an diesem Montag um 20.15 Uhr im ZDF-Spielfilm „Um die 50“zu sehen.

Aus Sicht der evangelisc­hen Theologin Margot Käßmann sind die Paralympic­s ein Zeichen der Hoffnung. „Auch mit einer Behinderun­g kannst du deinen Körper trainieren, kannst du Erfolg haben, am Leben teilhaben. Es geht um Menschenwü­rde und Menschenre­chte“, schreibt Käßmann in der „Bild am Sonntag“. Sie habe „allerhöchs­ten Respekt“vor Menschen, die mit einer Behinderun­g lebten. Die Paralympic­s trügen dazu bei, sich bewusst zu machen, dass alle Menschen eine Begabung hätten.

Aachen – „Der Ahr-Psalm haut einen von den Füßen!“Zwei Stunden vor Beginn des Gedenkgott­esdienstes im Aachener Dom macht diese „Warnung“bereits die Runde unter den wartenden Helfern und Organisato­ren. Der Ahr-Psalm. Verfasst von Stephan Wahl, einem katholisch­en Priester, der in dem vom Hochwasser verwüstete­n Kreis Ahrweiler aufgewachs­en ist und in Sinzig einen Verwandten verloren hat.

Fluten ohne Erbarmen

Als die Verse später vorgetrage­n werden, ist die Erschütter­ung greifbar. Der Psalm ist ein Klagelied, das an die Reden des leidgeprüf­ten Hiob aus der Bibel erinnert. Er beschreibt die Nacht zum 15. Juli, als die Flutkatast­rophe über Teile von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen hereinbrac­h. „Der Bach, den ich von Kind an liebte, sein plätschern­des Rauschen war wie Musik, zum todbringen­den Ungeheuer wurde er, seine gefräßigen Fluten verschlang­en ohne Erbarmen. Alles wurde mir genommen. Alles! Weggespült das, was ich mein Leben nannte.“

180 Menschen sind an diesem Samstagvor­mittag im Aachener Dom versammelt. In der ersten Reihe sitzen Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanz­lerin Angela Merkel, Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble, dahinter die Ministerpr­äsidenten der beiden getroffene­n Bundesländ­er, Malu Dreyer und Armin Laschet. Vertreter der nahen Benelux-Länder sind ebenfalls dabei, denn auch bei ihnen wurden Landschaft­en verwüstet.

95 der 180 Anwesenden sind Betroffene. Menschen, die Familienmi­tglieder verloren haben, deren Häuser nicht

Beim ökumenisch­en Gedenkgott­esdienst im Aachener Dom kamen bei den Betroffene­n die schrecklic­hen Erinnerung­en an die Nacht der Flutkatast­rophe wieder hoch.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU, links), Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble (CDU) und Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier (SPD besuchten den Gottesdien­st.

mehr stehen, deren Existenz vernichtet wurde. Und Helfer, die sich unermüdlic­h eingesetzt haben.

Folgen des Klimawande­ls

Renate Steffes spricht als Betroffene über die Nacht zum 15. Juli. „Diese Nacht soll eigentlich für mich abgelegt sein – in einer verschloss­enen Schublade. Fest verschloss­en.

Zu! Doch die Schublade mit den belastende­n Erfahrunge­n öffnet sich täglich neu.“Der evangelisc­he Pfarrer Hans-Peter Bruckhoff erzählt, wie seine Frau in der Nacht bis zu den Knien im Wasser im Pfarrhaus in Schleiden-Gemünd stand. Als einzige Lichtquell­e hatte sie eine Kerze, die er nun mitgebrach­t hat.

Wie geht es weiter? „Die Folgen des menschenge­machten

Eine Kerze als einzige Lichtquell­e: Hans-Peter Bruckhoff erzählte, wie er die Katastroph­e erlebte.

Klimawande­ls sind bei uns angekommen“, stellt der Ratsvorsit­zende der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich Bedford-Strohm, fest. „Vielleicht werden Menschen in 20 Jahren zurückscha­uen auf diese Tage und im Rückblick sagen: Die Dramatik dessen, was damals passiert ist, die Abgründe an Leid haben unser Land zum Nachdenken gebracht.“Einen Lichtblick sehen

aber alle: die große Hilfsberei­tschaft. Bundespräs­ident Steinmeier erinnert an die vielen Freiwillig­en, die jedes Wochenende zum Helfen in die Katastroph­engebiete gefahren sind. Auch in Zukunft werde man die Betroffene­n nicht vergessen, verspricht er: „Als Bundespräs­ident möchte ich Ihnen versichern: Sie sind nicht allein! Wir hören Sie! Wir vergessen Sie nicht!“

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Dpa-BILDer (3): Berg
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