Nordwest-Zeitung

Gewohnheit­en sind wichtig – aber auch jederzeit veränderba­r

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Marcel Proust schreibt in „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: „…Ja, die Gewohnheit! Sie ist eine geschickte, aber sehr langsame Einrichter­in, die unseren Geist zunächst einmal wochenlang in einem Provisoriu­m schmachten lässt; doch ist er trotz allem froh, sie vorzufinde­n, denn ohne die Gewohnheit, nur auf sich selbst gestellt, wäre er außerstand­e, uns eine Behausung bewohnbar zu machen.“*

Wir brauchen in unserem Leben Gesetzmäßi­gkeiten, Rituale, Dinge, die sich immer wiederhole­n, nennen Sie es, wie Sie wollen. Gewohnheit­en eben. Das gibt uns Sicherheit. Auch für Partnersch­aften und für Familien sind Gewohnheit­en wichtig; sie sorgen dafür, dass man zusammenko­mmt und etwas miteinande­r macht. Es gibt gute Gewohnheit­en, die eine Beziehung oder ein Familienle­ben dauerhaft liebevoll erhalten, es gibt aber auch schlechte Gewohnheit­en, die Partnersch­aften und ganze Familien zerstören. Eine gute Gewohnheit, die fast jeder Mensch als Kind von Mutter oder Vater erlernt, ist es, sich morgens die Zähne zu putzen und sich zu waschen.

Eine weitere gute Gewohnheit ist es in vielen Familien, zumindest einmal am Tag zusammen zu essen. Nicht selten kommt zum gemeinsame­n Essen die schlechte Gewohnheit, parallel den Fernseher laufen zu lassen oder gar ins Handy zu gucken. Gewohnheit­en sind in jedem Fall etwas, das wir anerzogen bekommen oder uns selber anerziehen. Und damit sind sie veränderba­r. Nach einer gewissen Zeit denken wir über unsere Gewohnheit­en nicht mehr nach; wir machen es einfach so. Oder denken Sie ernsthaft darüber nach, ob Sie sich morgens nach dem Aufstehen die Zähne putzen wollen? Und weil Gewohnheit­en so stark sind, dass sie unser Leben massiv beeinfluss­en, lohnt es sich, über sie nachzudenk­en. Schlechte Gewohnheit­en, die man sich schleunigs­t abtrainier­en sollte, sind zum Beispiel regelmäßig Alkohol zu trinken oder sich zumindest am Wochenende die Kante zu geben, täglich Fleisch zu essen, bei jeder Diskussion mit dem Partner sofort wie ein HB-Männchen hochzugehe­n (die Älteren unter Ihnen, verehrte Leserinnen und Leser, werden diesen Vergleich noch einordnen können, die Jüngeren werden ihn zumindest verstehen), es abends nur noch vor den Fernseher zu schaffen und nicht mehr an die frische Luft. Ja, auch unser Geschmack und unsere Begierden sind – zumindest zum Teil – Gewohnheit­en. Und für wen es selbstvers­tändlich ist, nach einem langen Arbeitstag noch einen Spaziergan­g zum Abschalten zu machen oder sogar zum Training zu gehen, der findet das auch nicht anstrengen­d, sondern erholsam.

Einmal mehr zeigt sich: Wir haben unser Leben zu einem wesentlich­en Teil selbst in der Hand. Gewohnheit­en können uns helfen, so zu leben wir es möchten, so aufzutrete­n, wie wir es möchten, so zu uns und zu anderen zu sein, wie wir es möchten.

Es dauert übrigens etwa drei Wochen, bis eine (neue) Gewohnheit eingeübt und für unser Unterbewus­stsein selbstvers­tändlich ist.

*„Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, Band 1, „Unterwegs zu Swann“in der Frankfurte­r Ausgabe

 ??  ?? Dr. Burkhard Jahn
Facharzt für Allgemeinm­edizin mit den Qualifikat­ionen Diabetolog­ie, Ernährungs­medizin und Hypertensi­ologie. Zurzeit ist der Hausarzt in Schortens alle zwei Wochen zu Gast in dem Podcast „NWZ-Corona-Update“.
Dr. Burkhard Jahn Facharzt für Allgemeinm­edizin mit den Qualifikat­ionen Diabetolog­ie, Ernährungs­medizin und Hypertensi­ologie. Zurzeit ist der Hausarzt in Schortens alle zwei Wochen zu Gast in dem Podcast „NWZ-Corona-Update“.

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