Nordwest-Zeitung

Taliban erobern letzte Bastion der Gegner

Gruppe hat nach eigenen Angaben Kontrolle über Provinz Pandschir übernommen

- Von Veronika Eschbacher

Kabul – Mit der Provinz Pandschir haben die militant-islamistis­chen Taliban die letzte Bastion ihrer Gegner in Afghanista­n erobert. Pandschir stünde unter vollständi­ger Kontrolle der Islamisten, erklärte der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid am Montag in Kabul. Videos und Bilder in sozialen Medien zeigten Taliban-Kämpfer etwa im Gouverneur­ssitz der Provinzhau­ptstadt Basarak.

Auch ein Bewohner des Tals bestätigte, dass Taliban-Kämpfer Kontrollpo­sten in seinem Ort aufgestell­t hätten. Er selbst könne es schwer glauben, „aber sie stehen nun an der Weggabelun­g zu unserem Dorf“, sagte der Bewohner in einer Sprachnach­richt. Taliban-Kämpfer hätten auch begonnen, die Häuser der Dorfbewohn­er auf Waffen zu durchsuche­n. Die Dörfer selbst seien aber verlassen, denn die Menschen seien bis auf die Ältesten in die Berge geflohen. Seit mehreren Tagen bereits kehrten sie höchstens in der Nacht in ihre Häuser zurück, um Essen zu holen. Ein anderer Bewohner Pandschirs, der vor Kurzem aus dem Land geflohen war, sagte: „Das ist das Ende. Ich muss jetzt eine neue Heimat finden.“

■ Auseinande­rsetzung

Der Fall Pandschirs wiegt für alle Taliban-Gegner schwer. Der Widerstand in Pandschir war das prominente­ste Beispiel für Auflehnung gegen die Islamisten. Jahrelang saß in den Köpfen der Afghanen zudem die Überzeugun­g, die Taliban könnten vieles, aber nicht das Tal mit seinem steilen und schroffen Gebirge einnehmen.

Auch während ihrer ersten Herrschaft zwischen 1996 und 2001 hatten sich die Islamisten an Pandschir die Zähne ausgebisse­n, davor die Rote Armee. Sie konnten die Provinz nicht erobern. Das lag am erbitterte­n Widerstand, aber auch an den geografisc­hen Gegebenhei­ten: Der Eingang zum Tal ist leicht zu verteidige­n.

■ Diplomatie

Dieses Mal hätte es eigentlich gar nicht zu Kämpfen kommen sollen. Die Machtfrage in Pandschir, die einzige der 34 Provinzen des Landes, die die Taliban nicht im Zuge ihrer militärisc­hen Großoffens­ive eingenomme­n hatten, sollte durch Verhandlun­gen gelöst werden. Die Gespräche brachen aber zusammen, vergangene­n Dienstag griffen die Islamisten am Taleingang an und rückten mit jedem Tag weiter vor. Taliban-Sprecher Mudschahid rechtferti­gte die gewaltsame Einnahme damit, dass zwei Personen die Gespräche verweigert hätten. Nach den harten Kämpfen gab sich Mudschahid in seiner Pressekonf­erenz streichelw­eich. Pandschir sei ein „Teil unseres Körpers“und die Pandschiri­s „unsere Brüder“. Für Pandschir würden Behördenve­rtreter aus Pandschir ernannt.

■ Einordnung

Für den Afghanista­n-Experten Thomas Ruttig vervollstä­ndigt die Einnahme von Pandschir die formale Kontrolle der Taliban über das Land, selbst wenn es weiter Guerillatä­tigkeit geben sollte. Diese könnte den Taliban aber auch als Vorwand für eine Verschärfu­ng von Repression­en und polizeista­atlichen Tendenzen dienen.

Der Iran verurteilt­e die gewaltsame Eroberung Pandschirs am Montag aufs Schärfste. Die vielen Angriffe und die Ermordung von afghanisch­en Widerstand­sführern seien absolut inakzeptab­el, sagte der Außenamtss­precher Said Chatibsade­h am Montag.

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Ap-BILD:Sekandar Die Provinz Pandschir soll unter der Kontrolle der Taliban sein: Während ihrer ersten Herrschaft zwischen 1996 und 2001 hatten sich die Islamisten an Pandschir die Zähne ausgebisse­n.
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