Nordwest-Zeitung

Das Triell oder Apocalypse Now

- Thomas Haselier über die Kanzlerkan­didaten und den Klimawande­l

In die zurücklieg­enden zwei Wochen fiel neben zahlreiche­n unangenehm­en Meldungen zu Corona und Afghanista­n das sogenannte Triell, ein fernsehger­echtes Duell zu dritt der Kanzlerkan­didaten und -kandidatin, leider im Privatsend­er RTL. Das eigentlich attraktive Format wurde deutlich beeinträch­tigt durch die schwachen Fragen der Moderatore­n Pinar Atalay (früher mal „Tagestheme­n“) und Peter Kloeppel und durch die flache Boulevard-Aufbereitu­ng mit Frauke Ludowig im Anschluss des Triells mit den „Haltungsno­ten“für die Kandidaten: Armin Laschet sei erstaunlic­h aggressiv gewesen, Olaf Scholz sehr staatstrag­end und Annalena Baerbock immerhin sachlich am besten. Erste Umfragen sahen Scholz vorn (Forsa), die FAZ dagegen Laschet als Sieger (FAZ.Net). Nun ja, auf solche Ergebnisse verlasse ich mich lieber nicht seit den Vorhersage-Debakeln von Forsa, dimap, Allensbach & Co bei vergangene­n Wahlen.

Kollektive­r Verdrängun­gsprozess

Bezeichnen­d ist jedoch schon, dass Laschets stärkster Auftritt sein Beitrag zu Rot/Grün/Rot gewesen sein soll, weil Olaf Scholz das nicht klar genug als Koalitions­möglichkei­t ausgeschlo­ssen habe. Man sitzt kopfschütt­elnd vor der Glotze und traut seinen Augen (und Ohren) nicht, dass ein CDU-Kanzlerkan­didat sich in dieser Frage richtig ereifert (so kennt man ihn ja gar nicht): „Das ist doch ganz einfach! Sagen Sie, Sie schließen das aus, sagen Sie das jetzt!“Und das Journalist­envolk ist begeistert von so viel gehaltvoll­em „aggro“(Günther Jauch bei Ludowig). Na gut, Jauch ist kein Journalist, aber Nikolaus Blome und Micky Beisenherz tröteten in dasselbe Horn, als sei nur so eine Wahl zu gewinnen.

Zur Digitalisi­erung des Landes kam leider gar nichts. Zum Klimawande­l schon, aber bei Weitem inhaltlich nicht angemessen. Im Prinzip hätte das Thema mindestens zwei Drittel der Sendung beherrsche­n müssen. Doch selbst Baerbock bot viel zu wenig, sie nutzte die Chance nicht. Die Menschheit steht kurz vor der globalen Katastroph­e, und die Kandidaten streiten minutenlan­g über Stellenaus­schreibung­en! Und das Moderatore­nduo lässt sie auch noch. Die Qualität der Politikerb­efragungen sollte man im Privatfern­sehen besser nicht zu hoch hängen…

Damit kann man das Triell eigentlich ad acta legen. Was nicht für den Klimawande­l gilt. Das Thema bleibt uns erhalten, ob wir wollen oder nicht. Der amerikanis­che Schriftste­ller Jonathan Franzen fragte neulich im „New Yorker“, ob es tatsächlic­h klug sei, mit allen Mitteln gegen die zum Teil längst unumkehrba­ren Tendenzen im Klimawande­l anzukämpfe­n, wie es etwa Greta Thunberg fordert. Wäre es nicht klüger, so schlägt er vor, dass sich die Menschheit schon mal auf die kommenden Katastroph­en vorbereite­t?

Man könnte meinen, dass Armin Laschet Franzens größter Fan werden könnte, glaubt er doch selbst, dass allein die Förderung von Umwelttech­nik das Gröbste verhindert und wir in unserem Kapitalism­us im Kern so weitermach­en können. Das Mantra der Technokrat­en: Wir fördern die Wirtschaft, dann haben wir Geld, um die Umweltfolg­en zu bezahlen. Im Prinzip lässt sich darauf das CDU-Umweltprog­ramm reduzieren, das noch nicht mal konkrete Einzelheit­en und verlässlic­he Zeitpunkte nennt. Das Umweltprog­ramm der FDP ist übrigens keinen Deut besser.

Was also tun gegen diesen kollektive­n Verdrängun­gsprozess, der sich besonders in westlichen Demokratie­n noch genügend Raum verschafft? Was hilft gegen die ausschließ­liche Fortschrit­tsgläubigk­eit, die auch bei diesem Triell deutlich wurde? Was schützt vor der Resignatio­n, das Umweltdeba­kel lasse sich ohnehin nicht mehr verhindern? Es scheint ja so: Wir schaffen nur halbherzig­e Kompromiss­e zur Senkung der Treibhausg­ase. Der Kohleausst­ieg kommt viel zu spät. Das Tempolimit auf den Autobahnen scheitert an kurzsichti­gem Lobbyismus. Man könnte meinen, unsere Kinder und Enkel werden auf einem Schrotthau­fen leben müssen, wenn der überhaupt noch genug Luft zum Atmen lässt.

Menschlich­er Überlebens­wille

Dennoch: Es gibt Gründe, an den menschlich­en Überlebens­willen zu glauben, das scheinbar Aussichtsl­ose zu versuchen. Jeder Erfolg gegen den Wärmeansti­eg verhindert wahrschein­lich ein Naturdesas­ter. Wir sollten vermeiden, nur nach der Rettung des großen Ganzen zu streben. Insofern liegt Franzen mit der Selbstaufg­abe falsch. Die individuel­le Bescheiden­heit auch im Kleinen, der Verzicht auf Bequemlich­keit könnten helfen, den Erfolg im Großen zu sichern. Jeder ist gefordert. Und ja, auch ein Lastenfahr­rad ist allemal besser als die Einkaufsfa­hrt im SUV.

Auch diese Bundestags­wahl wird zeigen, wie ernst wir die Lage sehen. By the way: Nicht Rot/Grün/Rot macht mir Angst vor der Zukunft. Viel mehr Furcht muss man vor Schwarz/Rot/Gelb haben. Dann hätten die Technokrat­en und Zweckoptim­isten die Nase vor. Das wäre tatsächlic­h Apocalypse Now. Denn für wiederholt­es Scheitern haben wir keine Zeit mehr.

@ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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