So wird Sozialistischer Realismus real tauglich
Finale mit SWR-Sinfonieorchester und Prokofjew-Werken – Mutiges Projekt gelungen
Bremen – Das 32. Musikfest Bremen hat auffällig die filigranen Feinheiten gepflegt, in einer Spannung zwischen Erfindungskraft und Unberechenbarkeit. Doch dann bricht im Abschlusskonzert die Musik von Sergej Prokofjew mit der Wucht eines Zyklopen in die Bremer Glocke ein. Im Einsatz: Das SüdwestfunkSinfonieorchester, Chefdirigent Teodor Currentzis und die Pianistin Yulianna Avdeeva. Fegt das nicht diese grandiose Eleganz von drei Wochen weg?
Überhaupt nicht! Zwar köchelt im 3. Klavierkonzert C-Dur op. 26 und der 5. Sinfonie B-Dur op. 100 nichts auf halbem Herdfeuer. Der Dirigent lädt in seiner suggestiven Art die Fortissimi fast bis zur Schmerzgrenze auf. Doch er kultiviert inmitten der Aufwallungen Prokofjews gedankliche Tiefe zwischen Plakativität, Hinterhältigkeit und Ironie.
Wer sieht, mit welcher Freude und Hingabe etwa der Cellisten-Stimmführer die Musik lebt, wundert sich nicht über die Magie, mit der Currentzis und das brillante Orchester Spannung aufbauen: Mit offen ausgespielten Emotionen, strömenden Kantilenen und einer fast schneidenden Kälte in der Sinfonie. Sozialistischer Realismus? Sicher. Doch in dieser Realisierung ist er im Heute tauglich.
Mit Eleganz und Charme
Zwar mit stählerner Kraft greift Yulianna Avdeeva in das Klavierkonzert. Doch die Gewinnerin des Chopin-Wettbewerbs betont auch die Nähe
zu Eleganz und Charme der bekannten Symphony classique. Über die irrwitzige Virtuosität, die rapiden Kaskaden, Akkord-, Oktav- und Sprungtechnik legt sie klassizistisches Flair. Da wird Widerborstiges sogar kuschelig.
Nach mutiger Planung und 47 Veranstaltungen an 30 Orten, darunter elf im Oldenburger Land, nennt Intendant Thomas Albert das PandemieMusikfest einfach „gelungen“. 14000 Tickets standen zuerst im Angebot, am Ende wurden sogar 16 000 Musikenthusiasten zu Festival-Teilnehmern. „Gegenüber sorgenfreieren Jahren war das noch eine Auslastung von 40 bis 45 Prozent“, rechnet MusikfestPressesprecher Carsten Preisler vor. Und: „Bisher wurde uns keine Ansteckung bekannt!“
Unerhört und bewegend
Wie stark Details ein Festival prägen, zeigt die Pianistin in ihrer Zugabe, der Bourrée aus der 3. Englischen Suite aMoll von Johann Sebastian Bach. Die schnellen Eckteile packt sie mit einem Drive an wie vielleicht einst auch Klaviertiger Prokofjew. Doch im Dur-Mittelteil wärmt sie mit der Melodie alle Herzen. Unerhörtes und Bewegendes auf engem Raum – so geht Musikfest!