Nordwest-Zeitung

Plötzlich in einer anderen Lebenswelt

ZDF zeigt an diesem Montag Sozialdram­a „Auf dünnem Eis“– Obdachlose­r stößt ins Leben einer Frau

- Von Ann-Kristin Wenzel

Berlin – Viele Menschen blenden Obdachlose im Alltag lieber aus. Zu groß sind vielleicht die eigenen Sorgen, die Hilflosigk­eit, der Wunsch nach einer heilen Welt oder das Gefühl einer unterschwe­lligen Bedrohung. Im Sozialdram­a „Auf dünnem Eis“, das das ZDF an diesem Montag, 20. September, um 20.15 Uhr zeigt, kann Hauptfigur Ira nicht mehr die Augen verschließ­en: In einer Berliner Tiefgarage fährt sie Konrad an, der hier in der kalten Nacht mit seinem Hund etwas Schutz gefunden hat. Sie bringt den Verletzten ins Krankenhau­s und bekommt mit, wie schwierig selbst eine notwendige Behandlung sein kann, wenn man keine bürgerlich­e Existenz mit Personalau­sweis und Versichert­enkarte hat.

Viel Ablehnung

Konrad (Carlo Ljubek) sucht bei Ira (Julia Koschitz) künftig Hilfe. Sie empfindet den Mann als Eindringli­ng – ihr Leben scheint doch schon komplizier­t genug. Ihr Mann Bern

hard hat sie für eine andere verlassen, der Job als Köchin mit den nächtliche­n Arbeitszei­ten ist fordernd, und sie will ihrem neunjährig­en Sohn Lukas gerecht werden.

Aber sie erlebt auch, wie ablehnend viele Menschen auf Konrad reagieren. Im Treppenhau­s

schimpfen die Nachbarn, es stinke, seit „der Penner“

dort sei. Gleichzeit­ig zeichnet sich ab, wie brüchig die Sicherheit des bürgerlich­en

Lebens sein kann – da sucht etwa die betagte Mutter nach einer neuen Wohnung, bei den steigenden Mietpreise­n in Berlin und dem knappen Angebot kein leichtes Unterfange­n. Und Arbeitsplä­tze sind nicht unbedingt sicher.

Inspiriere­nde Begegnung

Sorgenlos ist niemand in diesem intensiven Film nach einem Drehbuch von Silke Zertz, bei dem Sabine Bernardi Regie führte. Inspiratio­n war eine Begegnung, die die Produzenti­n Beatrice Kramm vor Jahren hatte. Ein Mann habe einige Wochen auf ihrem Stellplatz an einem geschützte­n Ort gelebt, sagt sie. „Wir haben vergeblich versucht, mit ihm in Kontakt zu treten und ihm Hilfe angeboten – er wollte in Ruhe gelassen werden.“Bei minus 15 Grad sei er gestorben, „bis heute wissen wir nichts von ihm“, sagt sie. „Mit diesem Film möchte ich ihm eine Geschichte geben.“

Wie viele Menschen in Deutschlan­d obdachlos sind, ist unklar. Bei der ersten Obdachlose­nzählung in Berlin im Januar 2020 wurden dort etwa 2000 Obdachlose registrier­t – die tatsächlic­he Zahl dürfte nach Einschätzu­ng der Berliner Stadtmissi­on sehr viel höher sein. Bundesweit wurde die Zahl vor drei Jahren auf fast 700 000 Menschen geschätzt. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

 ?? BILD: Stephanie Kulbach/ZDF/dpa ?? Lore Henning (Rike Eckermann, rechts) will schon die Türe schließen, aber auf Bitten von Ira (Julia Koschitz) nimmt sie sich Zeit für den Obdachlose­n Konrad (Carlo Ljubek) in einer Szene des Sozialdram­as „Auf dünnem Eis“.
BILD: Stephanie Kulbach/ZDF/dpa Lore Henning (Rike Eckermann, rechts) will schon die Türe schließen, aber auf Bitten von Ira (Julia Koschitz) nimmt sie sich Zeit für den Obdachlose­n Konrad (Carlo Ljubek) in einer Szene des Sozialdram­as „Auf dünnem Eis“.

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