Die große Gefahr der „Querdenker“
Hat die Szene den Schützen von Idar-Oberstein beeinflusst? – Politiker sind alarmiert
Berlin/Idar-Oberstein – Ob der 49-jährige Maskengegner aus Idar-Oberstein je auf einer „Querdenker“-Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen war, ob er überhaupt mit der Szene vernetzt ist – all das werden erst die weiteren Ermittlungen zeigen. In seinem ersten Geständnis verwendete er jedoch offenbar genau die Chiffren, die seit Monaten genau solche „Querdenker“dazu nutzen, ihre wachsende Aggressivität und Rücksichtslosigkeit gegen Andersdenkende zu begründen. Mit einem grauenhaften Unterschied: In Idar-Oberstein wurde nicht gedroht, gerempelt oder geschlagen. Hier wurde ein Unschuldiger erschossen.
Regierung bestürzt
Die Bundesregierung zeigte sich am Mittwoch tief bestürzt über die „grausame Tat“. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach von „PandemieExtremismus“, gegen den jeder eintreten müsse. „Ich kann nur sehr dafür werben, dass wir alle miteinander genau aufpassen, wie wir Worte wägen, wie wir umgehen mit Verschwörungstheorien.“Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hielt sich hingegen mit einer Bewertung zurück. Sein Sprecher verwies darauf, dass es für „generalisierende Rückschlüsse“angesichts der noch laufenden Ermittlungen zu früh sei.
Schon im Mai hatte der NRW-Verfassungsschutz in einer großangelegten Analyse die Szene der Corona-Leugner als „Quelle für die Rekrutierung neuer Anhänger der rechtsextremistischen Mischszene“beschrieben. Dadurch entstehe ein „großes Maß an Gefährdung für den gesellschaftlichen Frieden in Deutschland“, hielten die Verfassungsschützer fest. Die ursprüngliche Skepsis gegen staatliche Corona-Maßnahmen habe sich mehr und mehr zu einer grundlegend demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Haltung entwickelt.
Die nachfolgenden „Querdenker“-Demos bestätigten diese Prognose. Aus den Aufmärschen heraus gingen Teilnehmer wiederholt gegen Polizisten und Journalisten vor, einzelne „Querdenker“riefen am Rande indirekt zum Mord an politischen Gegnern auf – und setzten damit in der Realität nur fort, was die Kommentatoren auf den „Querdenker“-Kanälen im Internet unentwegt taten. Als Reaktion löschte Facebook unlängst rund 150 „Querdenken“-Konten. Hat das alles den Maskengegner von Idar-Oberstein dazu gebracht, sich einen Revolver zu besorgen, um ein tödliches „Zeichen“zu setzen?
Härte gefordert
Unter dem Eindruck des Mordes zeigen sich auch die Innenexperten aller Bundestagsfraktionen erschüttert. Nicht nur der Täter müsse mit aller Härte bestraft werden, es müsse auch dem, der sich durch diese Tat in seiner Menschenverachtung befeuert sehe, klar gemacht werden: „Wer gegen andere Menschen hetzt und Hass sät, der wird zur Verantwortung gezogen“, folgert etwa SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese. Die gesetzlichen Grundlagen dafür hat der Bundestag bereits geschaffen. Idar-Oberstein wird zum Lackmustest für ihre Anwendung und ihre Wirkung.