Wir sollten mehr Rücksicht nehmen
Seien Sie ehrlich: Finden Sie es erstrebenswert, ein politisches Mandat bzw. Amt zu bekleiden? Beobachtet man tagtäglich, welchen Vorwürfen und persönlichen Angriffen unsere Volksvertreter ausgesetzt sind, verstehe ich jeden, der diese Frage mit Nein beantwortet.
Beginnen wir bei den Kommunalpolitikern. Ihnen unterstelle ich ein ehrliches Interesse, vor Ort etwas bewegen und sich fürs Gemeinwohl einsetzen zu wollen. Oft üben sie diese Tätigkeit neben ihrem normalen Job in den Abendstunden gegen eine kleine Aufwandsentschädigung aus. Sie opfern ihre Freizeit und ernten nicht selten scharfe Kritik und Häme vor allem in den sozialen Medien.
Keine Polit-Profis
Dabei ist eines doch klar: „Everybody’s darling“kann niemand sein. Es wird immer Entscheidungen geben (müssen), die nicht jedem gefallen. Das muss man in einer Demokratie akzeptieren. Nur so geht es voran. Und diejenigen, die lauthals Kritik üben, sollten immer bedenken: Die Vertreter in den kommunalen Parlamenten sind keine Polit-Profis. Sie müssen sich oft in komplizierte Verwaltungsvorgänge einarbeiten, um sich ein Urteil bilden zu können. Das erfordert jede Menge Einsatz und Durchhaltevermögen.
Machen wir weiter bei den Berufspolitikern. Natürlich ist deren Situa tion eine ganz andere. Sie können von ihrem Man
dat bestens leben, die Diäten fallen üppig aus. Und dennoch sei eine Lanze für diese Personen gebrochen. Je höher sie auf der Karriereleiter klettern, desto mehr stehen sie im Licht der Öffentlichkeit. Von Ministern und vor allem von den jetzigen drei Kanzlerkandidaten wird verlangt, dass sie sich in allen Bereichen auskennen, auf jede spontane Frage eine kluge Antwort parat haben und bestenfalls auch noch sympathisch wirken. Schwäche zeigen ist nicht vorgesehen. Wir sollten uns fragen, ob die Ansprüche, die wir an diese Personen stellen, nicht manchmal fast unmenschlich sind.
Gegen Angriffe resistent?
Als Folge dieser Entwicklung droht, dass nur noch diejenigen Charaktere den Weg in die Politik wagen, die entweder mit unbegrenztem Selbstbewusstsein ausgestattet sind oder die ein derart dickes Fell haben, dass ihnen Angriffe gegen ihre Person nichts anhaben können. Doch das dürfte nicht auf die Mehrheit der Menschen in diesem Land zutreffen. Wer in den sozialen Netzwerken einem sogenannten Shitstorm ausgesetzt wird, muss damit umzugehen wissen. Somit besteht die Gefahr, dass in den Parlamenten nicht mehr der Durchschnitt der Gesellschaft
das Volk vertritt, sondern eine ganz bestimmte kleine Gruppe. Das darf nicht das Ziel sein.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich müssen wir unsere Politiker kontrollieren. Hier muss aber das Motto sein: Hart in der Sache, aber immer so, dass ich dem Menschen am nächsten Tag noch begegnen mag.
Der Preis der Demokratie
Grundsätzlich sei noch angemerkt: Demokratie kann manchmal durchaus anstrengend sein. Prozesse dauern eben länger als in autoritären Systemen. Doch das ist der Preis, den wir für diese Gesellschaftsform zahlen müssen und sollten. In China mag manches schneller umgesetzt werden. Ein Flughafen wird dort mal eben in kürzester Zeit hochgezogen, während es bei uns mehrere Jahre dauern kann, bis Großprojekte fertiggestellt werden. Das sollten wir aber in Kauf nehmen, statt der autoritären Versuchung zu verfallen. Machen wir uns nichts vor: Demokratien stehen auch in Europa (siehe Polen und Ungarn) enorm unter Druck. Wir müssen deshalb alles tun, um unsere Mitspracherechte zu erhalten.
@ Den Autor erreichen Sie unter Groeblinghoff@infoautor.de