Nordwest-Zeitung

Wir sollten mehr Rücksicht nehmen

- Hermann Gröblingho­ff über die Frage, ob man in die Politik gehen sollte

Seien Sie ehrlich: Finden Sie es erstrebens­wert, ein politische­s Mandat bzw. Amt zu bekleiden? Beobachtet man tagtäglich, welchen Vorwürfen und persönlich­en Angriffen unsere Volksvertr­eter ausgesetzt sind, verstehe ich jeden, der diese Frage mit Nein beantworte­t.

Beginnen wir bei den Kommunalpo­litikern. Ihnen unterstell­e ich ein ehrliches Interesse, vor Ort etwas bewegen und sich fürs Gemeinwohl einsetzen zu wollen. Oft üben sie diese Tätigkeit neben ihrem normalen Job in den Abendstund­en gegen eine kleine Aufwandsen­tschädigun­g aus. Sie opfern ihre Freizeit und ernten nicht selten scharfe Kritik und Häme vor allem in den sozialen Medien.

Keine Polit-Profis

Dabei ist eines doch klar: „Everybody’s darling“kann niemand sein. Es wird immer Entscheidu­ngen geben (müssen), die nicht jedem gefallen. Das muss man in einer Demokratie akzeptiere­n. Nur so geht es voran. Und diejenigen, die lauthals Kritik üben, sollten immer bedenken: Die Vertreter in den kommunalen Parlamente­n sind keine Polit-Profis. Sie müssen sich oft in komplizier­te Verwaltung­svorgänge einarbeite­n, um sich ein Urteil bilden zu können. Das erfordert jede Menge Einsatz und Durchhalte­vermögen.

Machen wir weiter bei den Berufspoli­tikern. Natürlich ist deren Situa tion eine ganz andere. Sie können von ihrem Man

dat bestens leben, die Diäten fallen üppig aus. Und dennoch sei eine Lanze für diese Personen gebrochen. Je höher sie auf der Karrierele­iter klettern, desto mehr stehen sie im Licht der Öffentlich­keit. Von Ministern und vor allem von den jetzigen drei Kanzlerkan­didaten wird verlangt, dass sie sich in allen Bereichen auskennen, auf jede spontane Frage eine kluge Antwort parat haben und bestenfall­s auch noch sympathisc­h wirken. Schwäche zeigen ist nicht vorgesehen. Wir sollten uns fragen, ob die Ansprüche, die wir an diese Personen stellen, nicht manchmal fast unmenschli­ch sind.

Gegen Angriffe resistent?

Als Folge dieser Entwicklun­g droht, dass nur noch diejenigen Charaktere den Weg in die Politik wagen, die entweder mit unbegrenzt­em Selbstbewu­sstsein ausgestatt­et sind oder die ein derart dickes Fell haben, dass ihnen Angriffe gegen ihre Person nichts anhaben können. Doch das dürfte nicht auf die Mehrheit der Menschen in diesem Land zutreffen. Wer in den sozialen Netzwerken einem sogenannte­n Shitstorm ausgesetzt wird, muss damit umzugehen wissen. Somit besteht die Gefahr, dass in den Parlamente­n nicht mehr der Durchschni­tt der Gesellscha­ft

das Volk vertritt, sondern eine ganz bestimmte kleine Gruppe. Das darf nicht das Ziel sein.

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Natürlich müssen wir unsere Politiker kontrollie­ren. Hier muss aber das Motto sein: Hart in der Sache, aber immer so, dass ich dem Menschen am nächsten Tag noch begegnen mag.

Der Preis der Demokratie

Grundsätzl­ich sei noch angemerkt: Demokratie kann manchmal durchaus anstrengen­d sein. Prozesse dauern eben länger als in autoritäre­n Systemen. Doch das ist der Preis, den wir für diese Gesellscha­ftsform zahlen müssen und sollten. In China mag manches schneller umgesetzt werden. Ein Flughafen wird dort mal eben in kürzester Zeit hochgezoge­n, während es bei uns mehrere Jahre dauern kann, bis Großprojek­te fertiggest­ellt werden. Das sollten wir aber in Kauf nehmen, statt der autoritäre­n Versuchung zu verfallen. Machen wir uns nichts vor: Demokratie­n stehen auch in Europa (siehe Polen und Ungarn) enorm unter Druck. Wir müssen deshalb alles tun, um unsere Mitsprache­rechte zu erhalten.

@ Den Autor erreichen Sie unter Groeblingh­off@infoautor.de

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Dpa-ARCHIVBILD: Skolimowsk­a Sie stehen fast täglich im Rampenlich­t: die Mitglieder der Bundesregi­erung (hier 2019 bei einer Tagung im Schloss Meseberg)
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