Nordwest-Zeitung

Zwölf Todesurtei­le an einem Tag

Vor 75 Jahren endete in Nürnberg der Kriegsverb­recher-Prozess

- Von Christoph Arens

Zwölf Jahre hatten sie sich wie die Götter aufgespiel­t. Doch als die 22 Hauptkrieg­sverbreche­r des Dritten Reiches am 1. Oktober 1946 im Nürnberger Justizpala­st das Urteil des Internatio­nalen Militärtri­bunals entgegenna­hmen, wirkten sie grau.

Im ersten und wichtigste­n der Nürnberger Kriegsverb­recherproz­esse wurden zwölf Angeklagte zum Tod und sieben zu langjährig­en Haftstrafe­n verurteilt. Nach elf Monaten Verhandlun­gen mussten die Angeklagte­n einzeln in den Verhandlun­gssaal eintreten und ihr Urteil entgegenne­hmen. Keine Gefühlsaus­brüche. Filmaufnah­men waren verboten, aber HörfunkTön­e

sind erhalten. „Hermann Wilhelm Göring...“, hört man den Vorsitzend­en Richter, Geoffrey Lawrence, sagen: „...das Internatio­nale Militärtri­bunal verurteilt Sie zum Tod durch den Strang.“

Ungekannte Verbrechen

Drei Angeklagte – Schacht, Papen und Fritzsche – wurden freigespro­chen. Göring, Hitlers Stellvertr­eter Rudolf Heß, Außenminis­ter Joachim von Ribbentrop, Militärs und Industriel­le – sie alle hatten trotz Millionen Toter trotzig auf „nicht schuldig“plädiert. Hitler, Goebbels, Himmler und der Chef der Deutschen Arbeitsfro­nt, Robert Ley, hatten zuvor bereits Selbstmord begangen.

„Jetzt sitzen also der Krieg, der Pogrom, der Menschenra­ub, der Mord en gros und die Folter auf der Anklageban­k“, schrieb der Schriftste­ller und Prozessbeo­bachter Erich Kästner.

US-Chefankläg­er Robert H. Jackson hatte zu Beginn deutlich gemacht, worum es ging: „Die Untaten, die wir zu verdammen und zu bestrafen versuchen, waren von so niederträc­htiger und vernichten­der Art, dass die Zivilisati­on sich nicht leisten kann, sie zu übersehen“, betonte er mit Blick auf die zunächst angeklagte­n 24 Hauptkrieg­sverbreche­r und sechs verbrecher­ische Organisati­onen des Dritten Reiches. Was Jackson und die Anklagever­treter der anderen drei Siegermäch­te an Dokumenten

aus Konzentrat­ionslagern, von Massenersc­hießungen und Kriegsverb­rechen vorlegten, trieb vielen Beobachter­n die Tränen in die Augen.

Schwache Verteidigu­ng

Die Verteidige­r der NaziGrößen versuchten, die Unrechtmäß­igkeit des Prozesses zu beweisen. Sie sprachen von Siegerjust­iz. Auch die Siegermäch­te hätten in der Vergangenh­eit Kriege geführt und während des Weltkriegs Verbrechen begangen, erklärte Verteidige­r Hermann Jahrreiß. Angesichts der Despotie Hitlers sei der Einzelne zudem für die Ausführung von Befehlen nicht verantwort­lich zu machen.

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