Zwölf Todesurteile an einem Tag
Vor 75 Jahren endete in Nürnberg der Kriegsverbrecher-Prozess
Zwölf Jahre hatten sie sich wie die Götter aufgespielt. Doch als die 22 Hauptkriegsverbrecher des Dritten Reiches am 1. Oktober 1946 im Nürnberger Justizpalast das Urteil des Internationalen Militärtribunals entgegennahmen, wirkten sie grau.
Im ersten und wichtigsten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse wurden zwölf Angeklagte zum Tod und sieben zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Nach elf Monaten Verhandlungen mussten die Angeklagten einzeln in den Verhandlungssaal eintreten und ihr Urteil entgegennehmen. Keine Gefühlsausbrüche. Filmaufnahmen waren verboten, aber HörfunkTöne
sind erhalten. „Hermann Wilhelm Göring...“, hört man den Vorsitzenden Richter, Geoffrey Lawrence, sagen: „...das Internationale Militärtribunal verurteilt Sie zum Tod durch den Strang.“
Ungekannte Verbrechen
Drei Angeklagte – Schacht, Papen und Fritzsche – wurden freigesprochen. Göring, Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß, Außenminister Joachim von Ribbentrop, Militärs und Industrielle – sie alle hatten trotz Millionen Toter trotzig auf „nicht schuldig“plädiert. Hitler, Goebbels, Himmler und der Chef der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, hatten zuvor bereits Selbstmord begangen.
„Jetzt sitzen also der Krieg, der Pogrom, der Menschenraub, der Mord en gros und die Folter auf der Anklagebank“, schrieb der Schriftsteller und Prozessbeobachter Erich Kästner.
US-Chefankläger Robert H. Jackson hatte zu Beginn deutlich gemacht, worum es ging: „Die Untaten, die wir zu verdammen und zu bestrafen versuchen, waren von so niederträchtiger und vernichtender Art, dass die Zivilisation sich nicht leisten kann, sie zu übersehen“, betonte er mit Blick auf die zunächst angeklagten 24 Hauptkriegsverbrecher und sechs verbrecherische Organisationen des Dritten Reiches. Was Jackson und die Anklagevertreter der anderen drei Siegermächte an Dokumenten
aus Konzentrationslagern, von Massenerschießungen und Kriegsverbrechen vorlegten, trieb vielen Beobachtern die Tränen in die Augen.
Schwache Verteidigung
Die Verteidiger der NaziGrößen versuchten, die Unrechtmäßigkeit des Prozesses zu beweisen. Sie sprachen von Siegerjustiz. Auch die Siegermächte hätten in der Vergangenheit Kriege geführt und während des Weltkriegs Verbrechen begangen, erklärte Verteidiger Hermann Jahrreiß. Angesichts der Despotie Hitlers sei der Einzelne zudem für die Ausführung von Befehlen nicht verantwortlich zu machen.