Berliner Bezirk schätzte Wahlergebnis
Immer mehr Pannen werden bekannt – Müssen die Hauptstädter erneut an die Urnen?
Berlin – Es begann mit Fotos von langen Warteschlangen vor Wahllokalen schon am Sonntagvormittag. Seitdem kommen täglich neue Pannen ans Licht, die Landeswahlleiterin ist inzwischen zurückgetreten – und viele Menschen rätseln, ob die Pannen-Wahlen von Berlin noch gültig sind oder wiederholt werden sollten. Die wichtigsten Punkte zu einer unübersichtlichen Lage.
Die Hauptprobleme
Vor manchen der 2257 Wahllokale in den 78 Wahlkreisen zur Berliner Abgeordnetenhauswahl mussten Wähler lange anstehen. Stimmzettel fehlten zwischenzeitlich und mussten durch Boten gebracht werden. Zum Teil konnten Stimmen erst lange nach 18 Uhr abgegeben werden. An einigen Stellen erhielten Wähler Stimmzettel aus anderen Wahlkreisen,
die später als ungültig gewertet wurden. Auch die Auszählung lief nicht überall glatt, berichteten Wahlhelfer. Bis Mitte der Woche lagen aus mehreren Lokalen im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf noch keine Ergebnisse vor, im Internet wurden einfach geschätzte Zahlen veröffentlicht.
Die betroffenen Lokale
Wie viele Wahllokale oder Wahlkreise betroffen waren, ist noch unklar. Die Bestandsaufnahme dauerte am Donnerstag noch an. Am Montag hatte die Landeswahlleitung von Problemen in etwa 100 Wahllokalen gesprochen. Seitdem mehrten sich Berichte von Wählern und Wahlhelfern aus vielen Berliner Bezirken. Der Sender RBB berichtete am Mittwoch, in mindestens 99 Wahllokalen seien auffällig viele Stimmzettel ungültig gewesen. Es gehe um mindestens 13120 Stimmen bei allen Wahlgängen.
■ Die Ursachen Hauptproblem waren die gleichzeitigen Wahlen zum Bundestag, zum Berliner Abgeordnetenhaus, zu den Bezirksparlamenten sowie ein Volksentscheid. Dazu kamen Corona-Bedingungen und Absperrungen wegen des BerlinMarathons. Die Landeswahlleitung hatte mehr als 400 zusätzliche Wahllokale eingerichtet und die Zahl der Wahlhelfer von rund 20 000 auf 34 000 erhöht. Offenbar brauchten aber viele Wähler für ihre sechs Kreuze auf fünf Stimmzetteln mehr Zeit als erwartet.
Dass tagsüber Stimmzettel fehlten, lag zum Teil daran, dass die Wahlvorstände mehr Kartons als früher in ihr jeweiliges Wahllokal bringen mussten. Manche holten erst im Tagesverlauf restliche Kartons nach. Andere StimmzettelKartons waren falsch beschriftet und wurden in falsche Wahllokale gebracht. Die Wahlleitung wusste früh davon, weil es schon beim Verschicken der Stimmzettel an Briefwähler aufgefallen war. Sie wies alle Wahlvorstände darauf hin. Die Warnung kam wohl nicht überall an. Zudem hatten viele der zusätzlichen Helfer keine Vorerfahrung.
Die Verantwortlichen
Über die Frage, wer für den Schlamassel verantwortlich ist, wird kontrovers diskutiert. Unterm Strich hat die Landeswahlleitung die Verantwortung für einen ordnungsgemäßen Ablauf der Abstimmungen. Landeswahlleiterin Petra Michaelis stellte ihren Posten am Mittwoch wegen der „Umstände der Wahldurchführung“zur Verfügung. Im Detail werden die Wahlen aber auf Ebene der Berliner Bezirke organisiert, die jeweils vergleichbar mit Großstädten sind. Die wiederum verweisen auf schlechte Ausstattung – gerade personell – durch den Senat.
■ Die Konsequenzen Bisher wird nicht davon ausgegangen, dass die Bundestagsoder Abgeordnetenhauswahlen als Ganzes wiederholt werden müssen. In einzelnen Wahlkreisen könnte aber eine Neuwahl erforderlich werden, wenn Unregelmäßigkeiten sich „mandatsrelevant“ausgewirkt haben wie bei knappen Ergebnissen.
Die Prüfung aller Ergebnisse in den Bezirken wird Zeit brauchen. Spätestens zur Sitzung des Landeswahlausschusses am 14. Oktober, auf der das endgültige Ergebnis festgestellt wird, dürfte mehr Klarheit herrschen. Dann erst wäre das Wahlergebnis der Abgeordnetenhauswahl anfechtbar. In diesem Fall müsste der Verfassungsgerichtshof angerufen werden. Bei der Bundestagswahl wäre es der Bundestag. Jedoch wies der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, darauf hin, dass nicht jeder Mangel eine Wahl ungültig mache.