Orientierungslos im Abseits
Der neu gewählte Bundestag wird vermutlich der größte aller Zeiten. Dazu trägt am wenigsten Die Linke bei. Nur viel Glück und die sogenannte Grundmandatsklausel hat sie trotz des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde davor bewahrt, ganz aus dem Bundestag zu verschwinden. Sie büßt aber fast die Hälfte ihrer Mandate ein. Die Linke wurde vom Wähler im Verhältnis noch härter abgestraft als die CDU. Die Partei erhält immer weniger Zuspruch just bei denjenigen, die von der Umsetzung ihres Programms am meisten profitieren würden. Was ist da eigentlich passiert?
Angstkampagne wirkt
Zunächst einmal war die substanzlose Rot/Rot/Grün-Angstkampagne der CDU erstaunlich erfolgreich. Genutzt hat es der CDU zwar direkt nichts – der Vorwurf richtete sich ja folgenlos gegen die siegreiche SPD –, aber geschadet hat es der Linken. Die stereotyp beschworene Gleichsetzung von Rechts- und Linksextremismus ist dabei ebenso falsch wie niederträchtig. Sie lässt nicht nur die gravierend höhere Zahl gewalttätiger Straftaten aus dem rechten Milieu außer acht, sie macht auch keinen Unterschied etwa bei der politischen Arbeit von AfD und Linken in Parlamenten. Der miefigen ausländerund europafeindlichen Verweigerungshaltung der AfD standen wenigstens gelegentlich intelligente und konstruktive Anträge der Linken gegenüber.
Die so genannte Hufeisentheorie, wonach das politische Spektrum wie ein Hufeisen geformt ist, wurde immer wieder vom inhaltsschwachen CDU-Kanzlerkandidaten Laschet ins Spiel gebracht. Sie unterteilt das politische System in Mitte, links und rechts. Nach dieser Theorie nähern sich die extremen Ränder wie in einem Hufeisen immer mehr an und sind gleichweit entfernt von der Mitte. Der linke äußere Teil des Hufeisens ist danach ebenso verfassungsfeindlich wie der rechte. Eine politische Zusammenarbeit sei mit beiden Seiten undenkbar, so das Credo der CDU nicht nur im Wahlkampf. Dabei ist die Hufeisentheorie durch die Wissenschaft längst widerlegt, erst recht durch die aktuelle Realität: Mehr als 90 Prozent aller antisemitischen Straftaten werden zum Beispiel von Rechtsextremen begangen.
Doch noch folgenschwerer für das Wahldebakel dürften die hausgemachten Probleme der Linken sein. Inzwischen lebt der größere Teil der Mitglieder im Westen und nicht mehr in den neuen Bundesländern. Immer mehr ältere Mitglieder sterben dort weg, neue kommen kaum hinzu. Die Linke war dort mal Volkspartei, jetzt ist sie wie im Westen nur noch eine Splitterpartei.
Eine Zusammenarbeit mit anderen Parteien wird erschwert, weil es weitreichende unterschiedliche politische Auffassungen innerhalb der Partei gibt, die sie als wenig berechenbar erscheinen lassen. Die mögliche Zusammenarbeit mit SPD und Grünen scheiterte eigentlich nie an der Linken selbst, sondern an der (nachvollziehbaren) Ablehnung der möglichen Bündnispartner. Die Vorsitzende Janine Wissler versprach vor dem noch realistisch denkbaren Traum von Rot/ Rot/Grün Verlässlichkeit der Linken. Davon ist die Partei bis heute meilenweit entfernt. Ein Vertrauensverhältnis konnte nie entstehen.
Verheerend wirkte sich schließlich auch die veränderte politische Lage durch das Flüchtlingsdrama 2015 aus. Die Linke irrte orientierungslos durch das politische Minenfeld. Ihre bekannteste Ikone Sahra Wagenknecht polarisierte weite Teile der Partei etwa durch ihre ablehnende Haltung zu offenen Grenzen, die der sozialen Gerechtigkeit schadeten. Nebenbei wandte sie sich in ihrem jüngsten Buch „Die Selbstgerechten“gegen linke Grundsatzhaltungen zur Diskriminierung von Migranten, Frauen oder sexuellen Minderheiten und auch gegen Klimaaktivisten wie „Fridays for Future“.
Heftige innere Konflikte
Sie provozierte „Parteifreunde“öffentlich als Lifestyle-Linke und stellte das Narrativ Linke gleich soziale Gerechtigkeit in Frage. Die bis aufs Blut provozierten moderaten Parteigenossen forcierten daraufhin den – letztlich gescheiterten – Ausschluss der streitbaren ehemaligen Fraktionsvorsitzenden, was ihnen wenig Sympathie beim Wählervolk bescherte. Die medienerprobte Wagenknecht ist nicht nur die bekannteste, sondern eben auch beliebteste linke Politikerin. Der Konflikt ist durch den Personalwechsel an der Parteispitze nur oberflächlich befriedet, er schwelt weiter.
Die Selbstzerfleischung hält so unvermindert an. Das desaströse Wahlergebnis schickt Die Linke zurück in den Zustand einer politisch wirkungslosen Kraft. Weil die Partei zu wenig gesellschaftlich verwurzelt ist, wird sie zerrieben von ihren eigenen Machtblöcken. Die realpolitische Bedeutung als Korrektiv gegen den Neoliberalismus wird längst von weiten Teilen der Grünen und (wenn auch nicht überzeugend) der SPD übernommen. Es scheint, als sei Die Linke im politischen System mittlerweile überflüssig.
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