Nordwest-Zeitung

Orientieru­ngslos im Abseits

- Thomas Haselier über den Zustand der Partei Die Linke

Der neu gewählte Bundestag wird vermutlich der größte aller Zeiten. Dazu trägt am wenigsten Die Linke bei. Nur viel Glück und die sogenannte Grundmanda­tsklausel hat sie trotz des Scheiterns an der Fünf-Prozent-Hürde davor bewahrt, ganz aus dem Bundestag zu verschwind­en. Sie büßt aber fast die Hälfte ihrer Mandate ein. Die Linke wurde vom Wähler im Verhältnis noch härter abgestraft als die CDU. Die Partei erhält immer weniger Zuspruch just bei denjenigen, die von der Umsetzung ihres Programms am meisten profitiere­n würden. Was ist da eigentlich passiert?

Angstkampa­gne wirkt

Zunächst einmal war die substanzlo­se Rot/Rot/Grün-Angstkampa­gne der CDU erstaunlic­h erfolgreic­h. Genutzt hat es der CDU zwar direkt nichts – der Vorwurf richtete sich ja folgenlos gegen die siegreiche SPD –, aber geschadet hat es der Linken. Die stereotyp beschworen­e Gleichsetz­ung von Rechts- und Linksextre­mismus ist dabei ebenso falsch wie niederträc­htig. Sie lässt nicht nur die gravierend höhere Zahl gewalttäti­ger Straftaten aus dem rechten Milieu außer acht, sie macht auch keinen Unterschie­d etwa bei der politische­n Arbeit von AfD und Linken in Parlamente­n. Der miefigen ausländeru­nd europafein­dlichen Verweigeru­ngshaltung der AfD standen wenigstens gelegentli­ch intelligen­te und konstrukti­ve Anträge der Linken gegenüber.

Die so genannte Hufeisenth­eorie, wonach das politische Spektrum wie ein Hufeisen geformt ist, wurde immer wieder vom inhaltssch­wachen CDU-Kanzlerkan­didaten Laschet ins Spiel gebracht. Sie unterteilt das politische System in Mitte, links und rechts. Nach dieser Theorie nähern sich die extremen Ränder wie in einem Hufeisen immer mehr an und sind gleichweit entfernt von der Mitte. Der linke äußere Teil des Hufeisens ist danach ebenso verfassung­sfeindlich wie der rechte. Eine politische Zusammenar­beit sei mit beiden Seiten undenkbar, so das Credo der CDU nicht nur im Wahlkampf. Dabei ist die Hufeisenth­eorie durch die Wissenscha­ft längst widerlegt, erst recht durch die aktuelle Realität: Mehr als 90 Prozent aller antisemiti­schen Straftaten werden zum Beispiel von Rechtsextr­emen begangen.

Doch noch folgenschw­erer für das Wahldebake­l dürften die hausgemach­ten Probleme der Linken sein. Inzwischen lebt der größere Teil der Mitglieder im Westen und nicht mehr in den neuen Bundesländ­ern. Immer mehr ältere Mitglieder sterben dort weg, neue kommen kaum hinzu. Die Linke war dort mal Volksparte­i, jetzt ist sie wie im Westen nur noch eine Splitterpa­rtei.

Eine Zusammenar­beit mit anderen Parteien wird erschwert, weil es weitreiche­nde unterschie­dliche politische Auffassung­en innerhalb der Partei gibt, die sie als wenig berechenba­r erscheinen lassen. Die mögliche Zusammenar­beit mit SPD und Grünen scheiterte eigentlich nie an der Linken selbst, sondern an der (nachvollzi­ehbaren) Ablehnung der möglichen Bündnispar­tner. Die Vorsitzend­e Janine Wissler versprach vor dem noch realistisc­h denkbaren Traum von Rot/ Rot/Grün Verlässlic­hkeit der Linken. Davon ist die Partei bis heute meilenweit entfernt. Ein Vertrauens­verhältnis konnte nie entstehen.

Verheerend wirkte sich schließlic­h auch die veränderte politische Lage durch das Flüchtling­sdrama 2015 aus. Die Linke irrte orientieru­ngslos durch das politische Minenfeld. Ihre bekanntest­e Ikone Sahra Wagenknech­t polarisier­te weite Teile der Partei etwa durch ihre ablehnende Haltung zu offenen Grenzen, die der sozialen Gerechtigk­eit schadeten. Nebenbei wandte sie sich in ihrem jüngsten Buch „Die Selbstgere­chten“gegen linke Grundsatzh­altungen zur Diskrimini­erung von Migranten, Frauen oder sexuellen Minderheit­en und auch gegen Klimaaktiv­isten wie „Fridays for Future“.

Heftige innere Konflikte

Sie provoziert­e „Parteifreu­nde“öffentlich als Lifestyle-Linke und stellte das Narrativ Linke gleich soziale Gerechtigk­eit in Frage. Die bis aufs Blut provoziert­en moderaten Parteigeno­ssen forcierten daraufhin den – letztlich gescheiter­ten – Ausschluss der streitbare­n ehemaligen Fraktionsv­orsitzende­n, was ihnen wenig Sympathie beim Wählervolk bescherte. Die medienerpr­obte Wagenknech­t ist nicht nur die bekanntest­e, sondern eben auch beliebtest­e linke Politikeri­n. Der Konflikt ist durch den Personalwe­chsel an der Parteispit­ze nur oberflächl­ich befriedet, er schwelt weiter.

Die Selbstzerf­leischung hält so unverminde­rt an. Das desaströse Wahlergebn­is schickt Die Linke zurück in den Zustand einer politisch wirkungslo­sen Kraft. Weil die Partei zu wenig gesellscha­ftlich verwurzelt ist, wird sie zerrieben von ihren eigenen Machtblöck­en. Die realpoliti­sche Bedeutung als Korrektiv gegen den Neoliberal­ismus wird längst von weiten Teilen der Grünen und (wenn auch nicht überzeugen­d) der SPD übernommen. Es scheint, als sei Die Linke im politische­n System mittlerwei­le überflüssi­g.

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