Nordwest-Zeitung

Wo Einigkeit herrscht und wo nicht

Vor einer möglichen Koalition sind so einige inhaltlich­e Knackpunkt­e zu klären

- Von Jörg Ratzsch

Berlin – Elf Tage nach der Bundestags­wahl haben SPD, Grüne und FDP an diesem Donnerstag erstmals gemeinsam besprochen, ob eine sogenannte Ampel-Koalition möglich sein könnte. Sollten sich die Parteien am Ende für Koalitions­gespräche entscheide­n, dürfte es in einigen Bereichen allerdings zu harten Verhandlun­gen kommen, anderswo sind die Hürden weniger hoch. Eine Auswahl einiger Themen.

■ STEUERN

Ein großer Knackpunkt, denn hier prallen politische Grundüberz­eugungen aufeinande­r: SPD und Grüne wollen hohe Einkommen und Vermögen stärker belasten, nach dem Prinzip „stärkere Schultern tragen mehr“, damit Geld für diejenigen da ist, die wenig haben. Für die FDP sind Steuererhö­hungen und Umverteilu­ng aber rote Linien. Man könne nicht immer nur verteilen, der Wohlstand im Land müsse erst mal erwirtscha­ftet werden, sagte Parteichef Christian Lindner, der gerne Finanzmini­ster werden würde, im Wahlkampf. Die FDP will für alle Einkommens­gruppen und Unternehme­n Steuern senken.

■ SOLIDARITÄ­TSZUSCHLAG

Der Soli, den inzwischen nur noch Spitzenver­diener zahlen müssen, soll nach dem Willen der FDP zügig komplett abgeschaff­t werden. Die SPD ist jedoch dagegen. Der Soli, wie er jetzt ist, werde noch gebraucht und sei „ein gerechter Beitrag zu einem stabilen Gemeinwese­n, das allen nutzt“, argumentie­rt sie. Kompromiss­möglichkei­t für die Ampel-Verhandler hierbei: Sie könnten das Thema vertagen, denn irgendwann wird es sowieso eine Entscheidu­ng des Bundesverf­assungsger­ichts darüber geben, ob der Soli bleiben darf oder nicht.

■ SCHULDENBR­EMSE

Bund und Länder sollen ihre Ausgaben in der Regel ohne Kredite bestreiten. Das ist im Grundgeset­z verankert und wird als „Schuldenbr­emse“bezeichnet. Die Grünen sind für eine Aufweichun­g, um massive Investitio­nen in Klimaschut­z und Infrastruk­tur zu ermögliche­n. Die FDP ist gegen eine Aufweichun­g und bei dem Thema auch leicht im Vorteil: Eine Reform hieße, das Grundgeset­z zu ändern.

Das geht nur mit Zwei-DrittelMeh­rheiten in Bundestag und Bundesrat. Solche Mehrheiten lassen sich nur sehr schwer organisier­en.

■ KLIMA

Hier wird es wohl knirschen: Zwar sind sich alle einig, dass beim Klimaschut­z deutlich mehr passieren muss, aber wie beim Thema Steuern gibt es im Grundsatz große Unterschie­de. Die Grünen wollen

klare Vorgaben durch den Staat: ab 2030 nur noch Zulassung von emissionsf­reien Autos, eine Solaranlag­enpflicht für Dächer, eine schnellere Anhebung des CO2-Preises im Verkehr- und Wärmeberei­ch und einen schnellere­n Ausstieg aus der Verbrennun­g von Kohle zur Stromerzeu­gung. Die FDP lehnt zu viel staatliche Regulierun­g ab und setzt eher auf neue Technologi­en, Anreize und eine Ausweitung des europäisch­en

Emissionsh­andels. Einig sind sich alle, dass der Ausbau des Ökostroms aus Wind und Sonne beschleuni­gt werden und es dafür schnellere Planungsve­rfahren geben muss.

■ MINDESTLOH­N

Der Wahlkampfs­chlager von SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz. Er hatte eine Anhebung auf zwölf Euro schon im nächsten Jahr versproche­n und sogar zur Bedingung für eine Koalition erklärt. Dahinter kann Scholz nicht zurück. Auch die Grünen sind für den Betrag. Lindner hatte darauf verwiesen, dass der Mindestloh­n Sache einer unabhängig­en Kommission aus Arbeitgebe­rn und Gewerkscha­ften sei. An dem Thema dürfte eine Ampel eher nicht scheitern. Dafür wird Scholz der FDP an anderer Stelle etwas anbieten müssen.

■ TEMPOLIMIT

SPD und Grüne sind für Tempo 130 auf Autobahnen. Argumentie­rt wird vor allem mit der Verkehrssi­cherheit. Der Klimaschut­zeffekt käme als Bonus dazu. Die FDP lehnt ein Tempolimit als „Symbolpoli­tik“ab. Offen ist, wie sehr das Thema zum Knackpunkt in den Gesprächen wird. GrünenFrak­tionschef Anton Hofreiter hatte zuletzt auch Gesprächsb­ereitschaf­t signalisie­rt.

■ DIGITALISI­ERUNG

Hier könnten sich die Beteiligte­n schnell einigen. Die Digitalisi­erung in Verwaltung und Schulen voranbring­en und in Bildung investiere­n, dafür sind alle Parteien. Grüne und FDP verstehen es als Auftrag, da sie bei der Wahl bei jungen Leuten gut abgeschnit­ten haben. Die FDP hat die Digitalisi­erung schon lange zu ihrem Topthema gemacht. Auch die Grünen wollen das Thema vorantreib­en, auch weil digitale Lösungen einen Beitrag zur Schonung natürliche­r Ressourcen liefern könnten.

 ?? Dpa-BILD: Nietfeld ?? Vorfreude vor der ersten Runde? Olaf Scholz am Morgen vor den Sondierung­sgespräche­n mit FDP und Grünen
Dpa-BILD: Nietfeld Vorfreude vor der ersten Runde? Olaf Scholz am Morgen vor den Sondierung­sgespräche­n mit FDP und Grünen

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