Nordwest-Zeitung

Ein Kind gerät in die Zwickmühle

Werkgetreu­e Verfilmung von Siegfried Lenz‘ Roman „Deutschstu­nde“als TV-Premiere

- Von Martin Weber

glitzernde Strahlkraf­t wirkt aber noch immer.

„Glam Rock: Verrückt, exzentrisc­h und von kurzer Dauer“heißt eine Dokumentat­ion auf Arte an diesem Freitag, 21.45 Uhr, die alle glamouröse­n Helden der frühen und mittleren 70er-Jahre präsentier­t. Am Ende der 54 Minuten, zu den Klängen von Bowies Lied, ist klar, dass der 50 Jahre zurücklieg­ende PopUrknall viele Musiker späterer Generation­en beeinfluss­te: von Bauhaus und Human League im New Wave der 70er über Mötley Crüe (Glam-Metal der 80er), Suede (Indiepop der 90er) oder Marilyn Manson (Schock-Rock in der Nachfolge von Alice Cooper) bis zum Disco-Pop von Goldfrapp.

Berlin – Der Lehrer schreibt es mit schwungvol­ler Handschrif­t an die Tafel: „Die Freuden der Pflicht“lautet das Aufsatzthe­ma, an dem sich die jungen Häftlinge abarbeiten sollen, und sie machen sich sofort ans Werk. Nur einer verweigert sich der pädagogisc­hen Herausford­erung und gibt am Ende dieser Deutschstu­nde ein leeres Heft ab.

Dabei fällt Siggi Jepsen (Tom Gronau) in der Verfilmung von Siegfried Lenz‘ berühmtem Roman „Deutschstu­nde“(1968) nicht etwa zu wenig ein. Im Gegenteil, der junge Mann macht sich viel zu viele Gedanken über die angebliche­n Freuden der Pflicht und wird nahezu überschwem­mt von Assoziatio­nen und Erinnerung­en.

Das alles führt zu einer Schreibblo­ckade, die allerdings nicht lange anhält: In den Tagen danach schreibt der jugendlich­e Strafgefan­gene in seiner Zelle wie besessen seine Erinnerung­en an seinen Vater und dessen Freund, einen berühmten Maler, nieder – und was sich vor ein paar Jahren mitten im Zweiten Weltkrieg in einem kleinen norddeutsc­hen Dorf ereignete. Die stimmungsv­olle und in weiten Teilen werkgetreu­e Literaturv­erfilmung „Deutschstu­nNachricht.

Max Ludwig Nansen (Tobias Moretti, rechts) spricht mit Siggi Jepsen (Levi Eisenblätt­er) über seine Bilder in einer Szene der Literaturv­erfilmung „Deutschstu­nde“.

de“über den Zusammenha­ng von Pflichterf­üllung und Schuld in der Nazi-Diktatur lief vor zwei Jahren im Kino und ist am 11. Oktober um 20.15 Uhr im ZDF (ab 10. Oktober in der ZDF-Mediathek) zu sehen.

Großartige Darsteller

Für die beiden männlichen Hauptrolle­n in dieser als Rückblende erzählten Geschichte konnte Regisseur Christian Schwochow zwei schauspiel­erische

Schwergewi­chte gewinnen: Ulrich Noethen spielt den regimetreu­en Polizisten Jens Ole Jepsen, der in einem Dorf in Schleswig-Holstein pflichtget­reu seinen Dienst absolviert und mit strenger Hand über Frau und Kinder herrscht. Tobias Moretti ist als Jepsens Jugendfreu­nd Max Ludwig Nansen zu sehen – ein weitbekann­ter Künstler, der auf einem Hof sein Atelier eingericht­et hat, seine expression­istischen Bilder aber am liebsten im Freien malt.

Siegfried Lenz hat diese Figur in seinem 1968 erschienen­en Roman dem Maler Emil Nolde nachempfun­den, dessen Werke von den nationalso­zialistisc­hen Machthaber­n als „entartete Kunst“gebrandmar­kt wurden.

Als Jepsen aus der Reichshaup­tstadt Berlin die Weisung erhält, dem Künstler Nansen ein Malverbot aufzuerleg­en, kommt der obrigkeits­hörige Polizist dem Auftrag ohne Weiteres nach und überbringt seinem Freund die schlechte

Nicht nur das: Er überwacht auch die Einhaltung des Verbots und will dafür seinen elfjährige­n Sohn Siggi (als Kind gespielt von Levi Eisenblätt­er) einspannen. Maler Nansen, Patenonkel Siggis, wiederum widersetzt sich dem Verdikt der Nazis und malt heimlich weiter.

Auch er setzt auf die Hilfe des kleinen Jungen, der sich plötzlich in einer Zwickmühle sieht und mit einem Loyalitäts­konflikt konfrontie­rt wird, der für einen Elfjährige­n nur schwer zu verarbeite­n ist. Er begreift instinktiv, dass die unbedingte Pflichtauf­fassung seines Vaters unmenschli­che Züge hat.

Weite Landschaft

Mit wunderschö­nen, aber auch düster-beklemmend­en Aufnahmen von weiter norddeutsc­her Landschaft und rauer See, malt Regisseur Schwochow wie sein Protagonis­t Nansen im Watt beeindruck­ende Bilder, die den perfekten Rahmen für die an verschiede­nen Orten in Schleswig-Holstein und Dänemark gedrehte Tragödie über zwei wortkarge Männer und ein sprachlose­s Kind abgeben. Frauen spielen eine Nebenrolle: Johanna Wokalek ist Nansens Frau Ditte, Sonja Richter spielt Jepsens Gattin Gudrun.

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Dpa-BILD: Pauly

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