Das lange Warten auf einen Neuanfang
Geflüchteter afghanischer Arzt noch immer im Auffanglager – Kampf mit der Bürokratie
Westerstede – Das Bild von verzweifelten Menschen, die nach der Machtübernahme der Taliban aus Afghanistan flüchten wollten, hat sich im Gedächtnis eingebrannt. Einer von ihnen, der Kabul buchstäblich in letzter Minute mit einer Militärmaschine verlassen hat, ist der Arzt S. H. (Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt) mit seiner Frau und den beiden kleinen Kindern. Er gehört zu einer Gruppe von Militärärzten, die in den vergangenen Jahren in Bundeswehrkrankenhäusern in Deutschland gearbeitet haben und sich nach der dramatischen Evakuierungsaktion durch die Bundeswehr nun mit ihren Familien in einer Aufnahmeeinrichtung in Soest/Nordrhein-Westfalen befinden.
■ Enge Kontakte
S.H. hatte nach einem mehrmonatigen Sprachkursus im Bundeswehrkrankenhaus Westerstede gearbeitet und hier enge Kontakte aufgebaut. Mithilfe eines Unterstützerkreises hatte er es gerade noch rechtzeitig auf die Liste für die Ausreise aus Afghanistan geschafft, darüber hinaus wurde auch alles für eine Aufnahme im Ammerland vorbereitet. Der Landkreis hatte hierbei seine Hilfe angeboten.
■ Die Angst ist groß
Seit dem 24. August befindet sich die geflüchtete Familie gemeinsam in dem Auffanglager in Soest. Und was ist seither passiert? Nicht viel. Ihnen wurde am 9. September in einem Schreiben des Bundesamtes für Asyl und Flüchtlinge (BAMF) eine Prüfung der Aufnahme nach Paragraf 22 angekündigt. Damit wären sie den Ortskräften gleichgestellt und müssten nicht ein langwieriges Asylverfahren mit ungewissem Ausgang durchlaufen. Und sie könnten von Anfang
an arbeiten und dort wohnen, wo sie bereits Kontakte haben. Alle Dokumente, Verträge mit der Bundeswehr und Anträge wurden eingereicht. Den Betroffenen läuft die Zeit davon, denn das Visum gilt nur drei Monate.
Der Druck ist groß, auch die Angst. Denn mittlerweile erhalten geflüchtete Familien auch Mitteilungen und Fotos von misshandelten Angehörigen zu Hause, die aufgrund dieser engen Verbindungen zur deutschen Bundeswehr gequält werden. Ein Mann berichtete beispielsweise, dass sein in Afghanistan verbliebener Bruder geschlagen, am Kopf verletzt und gezwungen wurde, Fotos seines geflüchteten Bruders zu essen.
■ Zuständigkeit unklar
Lange war nicht klar: Wann kommt eine Entscheidung zustande und wer ist zuständig? An dieser Frage verzweifelten auch schon die Unterstützer aus den verschiedenen deutschen Bundeswehrkrankenhäusern, die sich ja eigentlich mit Formularen und bürokratischen Hindernissen auskennen.
Auf Anfrage dieser Zeitung hieß es vonseiten des Bundesamtes für Asyl und Flüchtlinge, die Entscheidung sei getroffen worden – nämlich dass zumindest im Fall des früheren Westersteder Gastarztes keine Aufnahme nach Paragraf 22 erfolgen könne, weil dieser nicht auf der entscheidenden Liste stehe.
■ Noch eine Möglichkeit
Der Familie bleibt jetzt nur noch die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Warum die Bundeswehr mit großem Engagement und nach vorheriger Prüfung die Gruppe unter Militärschutz in den Kabuler Flughafen gebracht hat, Gastärzten jetzt aber die Anerkennung verweigert wird, erschließt sich dem Unterstützerkreis nicht. Die Helfer haben den Eindruck, dass die Geflüchteten durch alle Raster fallen, weil sie weder als Ortskraft noch als Menschenrechtler gelten. S.H. übt sich derweil in Geduld und hofft darauf, dass er endlich mit seiner kleinen Familie das Auffanglager verlassen kann, um im Ammerland Fuß zu fassen.