Ein letzter Roman von John le Carré
Zehn Monate nach Tod des Schriftstellers erscheint sein Werk „Silverview“
London – Wenn das letzte Buch eines Autors nach seinem Tod erscheint, wird daraus oft mehr als ein Buch. Man kann es als letzte Botschaft sehen, oder eine Bilanz, eine Abrechnung. Ist „Silverview“, der Roman von John le Carré, der nun bei Ullstein erschienen ist, all das? Vielleicht nicht. Vielleicht aber auch sehr wohl.
Denn es ist ein Buch, das le Carré – der an diesem Dienstag 90 Jahre alt geworden wäre – schon vor Jahren angefangen hatte, irgendwann kurz nach dem 2013 erschienenen Roman „Empfindliche Wahrheit“. Er schrieb und überarbeitete, und überarbeitete wieder. Doch in den Buchregalen wurde „Silverview“von autobiografischen Notizen und zwei Romanen überholt – und war bei le Carrés Tod an den Folgen einer Lungenentzündung im Alter von 89 Jahren immer noch ein Manuskript in der Schublade.
Sohn schreibt Buch fertig
Sein Vater habe ihm irgendwann das Versprechen abgenommen, ein unvollendetes Buch, so eins übrig bleiben sollte, fertigzuschreiben, sagt le Carrés Sohn Nicholas Cornwell, selbst ein Schriftsteller unter dem Namen Nick Harkaway. Also habe er sich nach dessen Tod noch trauernd mit Bleistift und dem abgetippten „Silverview“-Manuskript in einen Sessel gesetzt und gelesen. Er habe nicht viel Arbeit gehabt. Nur einige Stellen, an denen Redigierarbeit nötig gewesen sei.
„Silverview“ist ein eher kurzes Buch, gut 250 Seiten in der deutschen Übersetzung von Peter Torberg. Knapp dünner als einst „Der Spion, der aus der Kälte kam“, eine fieberhaft aufgeschriebene Geschichte, mit der le Carré, der eigentlich David Cornwell hieß, vor einem halben Jahrhundert den Spionageroman neu erfand und Schriftsteller von Beruf werden konnte.
Geschichte dahinter
„Silverview“ist ein sich langsam zuziehender Knoten von einem Buch. Es beginnt mit zwei auf den ersten Blick voneinander losgelösten Episoden. Eine junge Frau schiebt einen Kinderwagen durch den Regen, um jemandem einen Brief von ihrer an Krebs sterbenden Mutter zu übergeben. Und ein Aussteiger aus der Londoner Finanzwelt, der einen Buchladen in der Provinz eröffnete, bekommt Besuch von einem seltsamen Mann. Die Geschichte dahinter tritt nach und nach zu Tage. Und weil es le Carré ist, werden diese beiden Ereignisse bald nicht nur miteinander verbunden sein, sondern auch Teil einer Story um Spione und Agentenführer, um Lügen, Liebe und Verrat – und auch um die Verantwortung und Ohnmacht des Westens und seiner Geheimdienste.
Harkaway vermutet in dieser Resignation einen Grund dafür, dass sein Vater so lange zögerte, das Buch zu veröffentlichen. Denn le Carré, bis zu seiner Schriftsteller-Karriere selbst ein britischer Geheimdienstler, sei stets loyal zum „Service“geblieben. „Eine Art emotionale Blockade“könne der einzige Grund gewesen sein, der ihn gehindert habe, „Silverview“fertigzuschreiben und zu veröffentlichen.