Corona-Einsatz sorgt für Defizit bei der Ausbildung
Divisions-Kommandeur von Sandrart lobt enge Bindung zu Oldenburg
Oldenburg – „Einen großartigen Standort“hinterlässt Generalmajor Jürgen-Joachim von Sandrart am 21. Oktober. Der Kommandeur der 1. Panzerdivision verlässt Oldenburg nach gut drei Jahren Richtung Stettin. „Wir fühlen uns hier sehr wohl. Die Verbindung zwischen Stadt und den Soldaten könnte gar nicht besser sein“, sagt der mittlerweile dritte Kommandeur nach dem Wechsel des Divisionsstabes von Hannover nach Oldenburg Ende 2015. „Wir fühlen uns hier angekommen und aufgenommen.“
Der 1. Panzerdivision, die von Oldenburg aus geführt wird, gehören insgesamt 21 000 Soldatinnen und Soldaten an (750 in Oldenburg).
Im Rückblick auf seine dreieinhalbjährige Zeit in Oldenburg bleibt vor allem auch die Amtshilfe der Bundeswehr in der Corona-Pandemie und der Fluthilfe in Erinnerung: „Das Großartige unseres gemeinsamen ganzbürgerlichen Einsatzes ist, dass die Gesellschaft wieder mit ihren Soldaten zusammengewachsen ist. Ich habe selten so eine großartige, unvoreingenommene, zugewandte, beiderseitige Unterstützung und Anerkennung erlebt, wie in den letzten 18 Monaten.“
Er wünsche sich, dass dieses Band zwischen Gesellschaft und Bundeswehr über die Pandemie hinaus halte, wenn es gilt, den Kernauftrag der Bundeswehr zu gestalten.
Allerdings habe der nicht zum Kernauftrag zählende Einsatz in der Pandemie auch „ein Preisschild“gehabt: Andere Dinge seien dadurch liegengeblieben. So habe die Ausbildung nicht im erforderlichen Umfang stattfinden können – einerseits durch die Amtshilfe, andererseits durch pandemiebedingte Abstandsregeln. Der Generalmajor äußerte sich aber zuversichtlich, dass die Soldatinnen und Soldaten die Defizite teilweise schon aufgeholt haben und bis Ende nächsten Jahres komplett aufgeholt haben werden.
Aus militärischer Sicht vermisst Jürgen-Joachim von Sandrart für den Standort Oldenburg nur eins: ein Truppendienstgericht. Die Stadt sei ein großer Gerichtsstandort, auch die Tradition spreche dafür: Als die 11. Panzergrenadierdivision in Oldenburg lag, gab es hier auch ein Truppendienstgericht. Für von Sandrart würde ein solches Truppendienstgericht Verfahren verkürzen, den Standort stärken und hätte mit dem früheren Offizierscasino auch eine geeignete Infrastruktur. Einen entsprechenden Antrag hat der scheidende Kommandeur gestellt, jetzt muss das Bundesverteidigungsministerium entscheiden.
Kurz vor seinem Abschied sprach er sich auch für das Aufrechterhalten des Standortübungsplatzes aus: „Auch Stabssoldaten müssen combat-ready sein“, sagt er über die unbedingte Notwendigkeit einer Einsatzfähigkeit.
Der Afghanistan-Einsatz sei kein Bundeswehreinsatz gewesen, sondern ein politisches Engagement, betont Generalmajor Jürgen-Joachim von Sandrart. Genau so müsse er auch bewertet werden – über die gesamte Dauer, nicht reduziert auf die letzten Wochen.
Warum ist der Afghanistan-Einsatz aus Ihrer Sicht kein Misserfolg gewesen? von Sandrart: Der Einsatz hat 20 Jahre gedauert und darf nicht auf die letzten Wochen reduziert werden. Nach dem Attentat vom 11. September 2001 hat die Nato zum ersten Mal den Bündnisfall ausgerufen. Und auf der Grundlage und der Entscheidung unseres Parlamentes und der Regierung haben wir 2001 den Einsatz an der Seite unserer Bündnispartner und Verbündeten begonnen, der dann letztendlich bis zu dem spektakulären und sicherlich unglücklichen Ende in Kabul geführt hat. Es entsteht in der Diskussion häufig der vordergründige Eindruck, dass es ein Bundeswehreinsatz war. Das ist ein Irrtum. Es war ein politisches ressortübergreifendes Engagement – auch unter Abstützung auf Streitkräfte. Die Kernfrage ist also: War das politische Engagement erfolgreich?
Und war es das? von Sandrart: Nur bedingt. Das Ergebnis, einen stabilen, eigenständig handlungsfähigen Staat Afghanistan aufzubauen, ist offensichtlich fehlgeschlagen. Das ist aber kein Versagen der Bundeswehr. Die Streitkräfte haben zu jedem Zeitpunkt die ihnen gegebenen Aufträge mehr als gut erfüllt. Reduziere ich den Einsatz auf den militärischen Ansatz, komme ich im Wesentlichen zu einer positiven Bewertung. Dass das deutlich zu kurz greift, steht außer Frage. Waren wir als Staatengemeinschaft erfolgreich, Afghanistan wieder zu einem eigenständig handlungsfähigen völkerrechtlichen Subjekt zu machen? Das ist fehlgeschlagen. Ein politisches Engagement zum Nation Building ist eben nicht in 20 Jahren zu schaffen, sondern dauert deutlich länger.
Meines Erachtens müssen wir auf unserer Welt zwei Kernprobleme bewältigen, damit unsere Kinder und zukünftige Generationen auskömmlich, sicher, freiheitlich und friedlich miteinander auf dieser Welt leben können: ein Verteilungsproblem und ein ökologisches Problem, beide bedingen einander. Da ist der Atem einer Legislaturperiode deutlich zu kurz. Wir Soldaten wollen hierzu unseren Beitrag leisten. Jeder Tag Einsatz für Frieden und eine bessere Welt ist es wert, auch wenn es Rückschläge gibt.
Muss Deutschland, muss Europa besser werden, eigenständiger handlungsfähig werden? von Sandrart: Als Staatsbürger erwarte ich von einer Nation, die sich selbst als führend einordnet, dass sie dazu in der Lage ist. Das mindeste ist, dass Europa dazu in der Lage ist. Das fordern zu Recht u.a. auch die Amerikaner wie auch „kleinere“Bündnispartner von Deutschland und Europa. Davon sind wir noch weit entfernt.
Wie ist es um die Ausrüstung und Ausstattung der 1. Panzerdivision bestellt? von Sandrart: Die Tatsache, dass die Verbände der 1. Panzerdivision keine Vollausstattung haben, ist unverändert ein Defizit, das dringend abzustellen
ist, wenn wir tatsächlich einsatzbereite Streitkräfte für unseren Kernauftrag Landesund Bündnisverteidigung verfügbar haben wollen. Dass wir natürlich über interne Umgliederungen und Umverteilungen alles möglich machen können, steht außer Frage. Aber wenn die 1. Panzerdivision als Division mit drei deutschen und einer niederländischen Brigade, 21 000 Männern und Frauen, gefordert ist, um zum Beispiel in der Abschreckung die NatoNordostflanke zu verstärken, dann bin ich dazu nur bedingt in der Lage, weil ich dann die Verbände der 1. Panzerdivision durch Zusammenlegen auf ein Drittel reduziere, damit ein Drittel der Verbände einsatzbereit und ausgestattet ausrücken kann. Das ist der quantitative Aspekt unserer materiellen Ausstattung. Die Verbesserung ist angeschoben und geht über die Jahre langsam voran, dauert aber viel zu lange in Deutschland. Ungeachtet dessen ist zu jeder Zeit darauf Verlass, dass wir mit dem, was wir haben, einsatzbereit sind. Wollen wir die Probleme dieser Welt lösen, müssen wir offensiv und unvoreingenommen darüber nachdenken, welche Mittel ich zur Verfügung habe und wie ich sie einsetzen kann. Ein Mittel hierzu sind unsere Streitkräfte. In welcher Breite – vom stumpfen bis hin zum scharfen Ende – Streitkräfte nutzbar sind, hat sich der Politik und der Gesellschaft noch nicht gänzlich erschlossen.
■ Die ungekürzte Fassung des Interviews lesen Sie auf:
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