Nordwest-Zeitung

Polen wirft Kommission Erpressung vor

Streit über Kompetenze­n des EuGH droht nach Debatte im Parlament zu eskalieren

- Von Katrin Pribyl, Büro Brüssel

Straßburg – Als sich Mateusz Morawiecki nach 34 Minuten unter „Bravo“-Rufen seiner Parteikoll­egen wieder an seinen Platz setzte, ließ es sich der amtierende Parlaments­präsident David Sassoli nicht nehmen, den polnischen Regierungs­chef mit einem missbillig­enden Kommentar zu rügen. „Die Nicht-Einhaltung der Redezeit zeigt auch, dass Sie keinen Respekt haben vor dem Haus der europäisch­en Demokratie.“Für Morawiecki waren am Dienstag im EU-Parlament in Straßburg eigentlich nur fünf Minuten vorgesehen.

Das schien Polens Ministerpr­äsidenten nicht zu kümmern. Er ließ sich Zeit für seine Tirade gegen die EU – und präsentier­te seine nationalko­nservative PiS-Regierung als Opfer von Brüssel. „Ich bin nicht damit einverstan­den, dass Politiker Polen erpressen wollen und Polen drohen.“Die Kompetenze­n der EU hätten ihre Grenzen erreicht. „Wir können nicht länger schweigen, wenn sie überschrit­ten werden.“

Übersetzt lautete seine Botschaft am Dienstag: Warschau will sich künftig nur nach Gutdünken an EU-Recht halten. Am Ende bezeichnet­e Morawiecki Europa noch als „besten Ort überhaupt“, als sei die Debatte um Rechtsstaa­tlichkeit lediglich ein Scherz.

Stimmung am Boden

Die Stimmung im Saal war da längst im Keller, der Ton ist seit Monaten vergiftet, die Machtprobe eskaliert zunehmend. Das ließ sich trotz Gesichtsma­ske an der versteiner­ten Miene von EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen während Morawiecki­s Ausführung­en ablesen. Die

Deutsche hatte sich zuvor in ihrer Ansprache „zutiefst besorgt“geäußert über die Lage in dem osteuropäi­schen Land, wo die Regierung seit Jahren das Justizwese­n zerlegt.

Gerade erst sorgten die

Richter des politisch besetzten Warschauer Verfassung­stribunals mit ihrer Entscheidu­ng, dass zentrale Teile des EU-Vertrags unvereinba­r mit der nationalen Verfassung seien, für Empörung. Die EU werde

„handeln“, versprach von der Leyen. „Wir können und wir werden es nicht zulassen, dass unsere gemeinsame­n Werte aufs Spiel gesetzt werden.“Unter den Abgeordnet­en herrschen momentan dement

sprechend viel Frustratio­n und noch mehr Ärger.

Polen in der Sackgasse

Katarina Barley (SPD), Vizepräsid­entin des EU-Parlaments, forderte klare Maßnahmen von der Kommission. Die Rechtsstaa­tskrise sei kein isoliertes polnisches Problem. „Wenn wir es zulassen, dass sich EU-Mitgliedst­aaten herauspick­en, an welche Teile der gemeinsam vereinbart­en europäisch­en Gesetze sie sich halten, wird sich unsere europäisch­e Gemeinscha­ft unaufhalts­am auflösen.“Polen habe sich in eine „rechtsstaa­tliche Sackgasse manövriert“, so Parlaments-Vizepräsid­entin Nicola Beer (FDP).

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Dpa-BILD: Wittek Polens Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki hält eine Rede, EU-Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen (Hintergrun­d) hört erbost zu

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