Probleme im Übergang
Deutschland ist gut beraten, das Migrationsgeschehen an seiner östlichen Grenze genauer in den Blick zu nehmen. Die Zahl illegaler Aufgriffe verdoppelt sich von Monat zu Monat – so wie dies in den Jahren vor 2015 geschah. Die Lage ist geprägt von neuen Fluchtanlässen, etwa in Afghanistan. Hinzu kommt, dass der weißrussische Diktator mit Flüchtlingen die EU herauszufordern versucht. Wichtig ist zudem die Bereitschaft, schnell zu reagieren. Das gilt ganz besonders für die primär Verantwortlichen, die sich ausdrücklich vorgenommen haben, dass sich „2015 nicht wiederholen“dürfe: Angela Merkel und Horst Seehofer, die damaligen Parteichefs von CDU und CSU und nun gemeinsam Abtretenden.
Der Abtritt macht die Sache komplizierter. Denn es ist ungeschriebenes Gesetz der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass eine noch amtierende Regierung eine nachfolgende nicht vor vollendete Tatsachen stellt. Das bedeutet nicht, vor wichtigen Reaktionen erst die Kanzlerwahl abwarten zu müssen. Der Machtwechsel ist vom Grundgesetz nicht ohne Grund als nahtloser Prozess vorgesehen. Alle bleiben auf ihrem Posten, bis eine neue Regierung ernannt ist. Allerdings besteht auch kein Grund zu nervösen Reaktionen. Deutschland ist seit 2015 einen weiten Weg gegangen, um auch mit krisenhaften Zuspitzungen besser umgehen zu können. War selbst das Registrierungssystem für Neuankömmlinge so schlecht organisiert, dass sich Terrorwillige ein Dutzend Identitäten zulegen konnten, ist Vergleichbares nun nahezu ausgeschlossen. Auch bei der Unterbringung gibt es Reserven. Gleichwohl ist eine „wird-schon-von-alleine-klappen“-Einstellung falsch. Wer sich die Millionen von Menschen vor Augen hält, die sich vor dem neuen Taliban-Schreckenssystem in Sicherheit zu bringen versuchen, ist gut beraten, die Komponenten großer Lösungen vorzubereiten.
Aktuell geht es darum, problematische Auswirkungen so gut wie möglich im Griff zu behalten, ohne den Grenzverkehr lahmzulegen. Massiv verstärkte Schleierfahndung gehört genauso dazu, wie Interventionen gegen die Drahtzieher in Weißrussland und Unterstützung der Polen an der EU-Außengrenze. Wichtig ist vor allem eines: Klare Botschaften. Die erreicht Deutschland in Zeiten des Überganges nur, wenn die Repräsentanten einer künftigen Regierung von der aktuellen in die wesentlichen Überlegungen mit eingebunden werden. Frau Merkel und Herr Seehofer, übernehmen Sie! Aber nur zusammen mit Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner. Das könnte als Nebeneffekt die Inhalte des entstehenden Koalitionsvertrages näher an die akuten Probleme heranbringen.