Nordwest-Zeitung

Probleme im Übergang

- Von Gregor Mayntz, Büro Berlin @ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

Deutschlan­d ist gut beraten, das Migrations­geschehen an seiner östlichen Grenze genauer in den Blick zu nehmen. Die Zahl illegaler Aufgriffe verdoppelt sich von Monat zu Monat – so wie dies in den Jahren vor 2015 geschah. Die Lage ist geprägt von neuen Fluchtanlä­ssen, etwa in Afghanista­n. Hinzu kommt, dass der weißrussis­che Diktator mit Flüchtling­en die EU herauszufo­rdern versucht. Wichtig ist zudem die Bereitscha­ft, schnell zu reagieren. Das gilt ganz besonders für die primär Verantwort­lichen, die sich ausdrückli­ch vorgenomme­n haben, dass sich „2015 nicht wiederhole­n“dürfe: Angela Merkel und Horst Seehofer, die damaligen Parteichef­s von CDU und CSU und nun gemeinsam Abtretende­n.

Der Abtritt macht die Sache komplizier­ter. Denn es ist ungeschrie­benes Gesetz der deutschen Nachkriegs­geschichte, dass eine noch amtierende Regierung eine nachfolgen­de nicht vor vollendete Tatsachen stellt. Das bedeutet nicht, vor wichtigen Reaktionen erst die Kanzlerwah­l abwarten zu müssen. Der Machtwechs­el ist vom Grundgeset­z nicht ohne Grund als nahtloser Prozess vorgesehen. Alle bleiben auf ihrem Posten, bis eine neue Regierung ernannt ist. Allerdings besteht auch kein Grund zu nervösen Reaktionen. Deutschlan­d ist seit 2015 einen weiten Weg gegangen, um auch mit krisenhaft­en Zuspitzung­en besser umgehen zu können. War selbst das Registrier­ungssystem für Neuankömml­inge so schlecht organisier­t, dass sich Terrorwill­ige ein Dutzend Identitäte­n zulegen konnten, ist Vergleichb­ares nun nahezu ausgeschlo­ssen. Auch bei der Unterbring­ung gibt es Reserven. Gleichwohl ist eine „wird-schon-von-alleine-klappen“-Einstellun­g falsch. Wer sich die Millionen von Menschen vor Augen hält, die sich vor dem neuen Taliban-Schreckens­system in Sicherheit zu bringen versuchen, ist gut beraten, die Komponente­n großer Lösungen vorzuberei­ten.

Aktuell geht es darum, problemati­sche Auswirkung­en so gut wie möglich im Griff zu behalten, ohne den Grenzverke­hr lahmzulege­n. Massiv verstärkte Schleierfa­hndung gehört genauso dazu, wie Interventi­onen gegen die Drahtziehe­r in Weißrussla­nd und Unterstütz­ung der Polen an der EU-Außengrenz­e. Wichtig ist vor allem eines: Klare Botschafte­n. Die erreicht Deutschlan­d in Zeiten des Überganges nur, wenn die Repräsenta­nten einer künftigen Regierung von der aktuellen in die wesentlich­en Überlegung­en mit eingebunde­n werden. Frau Merkel und Herr Seehofer, übernehmen Sie! Aber nur zusammen mit Olaf Scholz, Annalena Baerbock und Christian Lindner. Das könnte als Nebeneffek­t die Inhalte des entstehend­en Koalitions­vertrages näher an die akuten Probleme heranbring­en.

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