Ehemalige KZ-Sekretärin (96) schweigt vor Gericht
Prozess nach gescheiterter Flucht gestartet – Beihilfe zu Mord in 11 380 Fällen vorgeworfen
Itzehoe – Eigentlich wollte sich die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof dem Prozess vor dem Landgericht Itzehoe nicht stellen. Doch 19 Tage nach ihrem gescheiterten Fluchtversuch erwarten nun rund 50 Journalisten und Zuschauer, mehrere Justizbeamte und 13 Nebenklagevertreter die 96-Jährige im Gerichtssaal. Mit nur wenig Verspätung schieben Mitarbeiter des gerichtsmedizinischen Dienstes die ehemalige KZ-Sekretärin in einem Rollstuhl in den Saal.
Schreiben erfasst
Die Anklage wirft Irmgard F. Beihilfe zum Mord an 11 380 Menschen und Beihilfe zum Mordversuch an weiteren sieben Gefangenen vor. Sie habe
von 1. Juni 1943 bis 1. April 1945 in der Kommandantur des deutschen Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig gearbeitet. Als Stenotypistin und Schreibkraft habe sie den Verantwortlichen des Lagers bei der systematischen Tötung von Gefangenen Hilfe geleistet,
erklärt Staatsanwältin Maxi Wantzen. Als Zivilangestellte im Dienst der SS-Totenkopfverbände habe sie sämtliche Schreiben des damaligen Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe erfasst, sortiert oder abgefasst. Dadurch habe sie Kenntnis von allen Geschehnissen im Lager und bis ins Detail von den Tötungsarten gehabt. Zur Tatzeit war die Frau 18 bis 19 Jahre alt. Darum findet der Prozess vor einer Jugendkammer statt.
Die Anklage
Wantzen beschreibt, wie rund 300 Gefangene in einer als Krankenzimmer getarnten Genickschussanlage einzeln ermordet wurden. Mehrfach seien jeweils 25 bis 35 meist antisemitisch verfolgte Frauen in die Gaskammer des Lagers getrieben worden. Als sich unter den Gefangenen der Widerstand gegen die Morde an diesem Ort verstärkte, habe die SS die Vergasung mit Zyklon B in einem umgebauten Kleinbahnwaggon fortgesetzt. Ab November 1944 seien mindestens 10 000
Gefangene an Fleckfieber gestorben. Die Verantwortlichen des Lagers hätten gegen das Sterben bewusst nichts unternommen. Häftlinge hätten die Leichen im Krematorium und auf einem Scheiterhaufen verbrennen müssen.
Die Angeklagte hört sich die Vorwürfe aufmerksam an. Doch sie schweigt. Seine Mandantin werde sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht äußern und auch keine Fragen beantworten, sagt ihr Verteidiger Wolf Molkentin. Die Angeklagte sei keine Holocaust-Leugnerin. Seine Mandantin trete nur dem Vorwurf entgegen, sie persönlich habe eine strafrechtliche Schuld auf sich geladen. Der Prozess soll am 26. Oktober mit der Anhörung des historischen Sachverständigen Stefan Hördler fortgesetzt werden.