Nordwest-Zeitung

Ein Schatz aus der Wesermarsc­h

Wie die Sturmflut-Schaufel von Hans Willms ins Landesmuse­um kam

- Von Detlef Glückselig

Ahndeich/Hannover – Die Nacht, in der das Wasser kam – sie ist Hans Willms so präsent, als sei es erst gestern gewesen. „Sirenen heulten, die Kirchenglo­cken läuteten, der Sturm tobte. Es war eine unheimlich­e Atmosphäre“, erinnert sich der heute 77-Jährige. Bei der großen Sturmflut am 16. Februar 1962 eilte Hans Willms nachts zum Sportplatz in Burhave (Gemeinde Butjadinge­n, Wesermarsc­h), um dort zusammen mit anderen Helfern Sandsäcke zu befüllen. Die Schaufel, die er dabei benutzte, ist jetzt Teil einer Ausstellun­g, die gerade im Landesmuse­um in Hannover eröffnet wurde – aus Anlass des 75jährigen Bestehens des Landes Niedersach­sen.

Erinnerung an 1962

Im Februar 1962 war Hans Willms 17 Jahre jung und arbeitete in einem landwirtsc­haftlichen Lehrbetrie­b in Burhave. Am 16. Februar des Jahres peitschte ein Sturm über die Nordsee. „Das Mittagshoc­hwasser war nicht wieder zurückgega­ngen. In der Nacht kam die nächste Flut“, berichtet Hans Willms. Als klar war, dass sich eine Katastroph­e anbahnte, schickte ihn sein Chef los zum Sportplatz, wo sich Helfer zum Befüllen von Sandsäcken versammelt­en. Er gab ihm eine Schaufel mit. „Pass auf, dass du die nicht aus der Hand gibst und dass du sie morgen wieder mitbringst“, sagte der Lehrherr.

Getreidesä­cke benutzt

Hans Willms erinnert sich an das Chaos, das dann herrschte: „Alle Leuten rannten wild durcheinan­der. Es gab ja noch keine Katastroph­enpläne. Eine Schwierigk­eit war auch, dass wir keine speziellen Sandsäcke hatten, sondern Getreidesä­cke nutzen mussten. Schaufelte man zu viel Sand hinein, wurden sie zu schwer

Sandsäcke liegen nach der Sturmflut 1962 am Deich in Waddensers­iel.

und ließen sich nicht mehr tragen.“Als das Befüllen erledigt war, wurden die Helfer mit den Säcken nach Burhaversi­el gefahren. „Ich war ein Fliegengew­icht damals und musste aufpassen, nicht vom Deich geweht zu werden“, berichtet Hans Willms. Als er oben auf der Deichkrone die aufgewühlt­e Nordsee sah, dachte er nur: „Wo kommt bloß das ganze Wasser her? Wenn jetzt der Deich bricht, dann hast du keine Chance.“

Nacht überstande­n

Hans Willms überstand die Sturmflutn­acht. Butjadinge­n kam vergleichs­weise glimpflich davon, weil am nächsten Tag die Flut nicht mehr so hoch auflief. Und die Schaufel, mit der Hans Willms in tiefer Nacht und dem Sturm trotzend Getreidesä­cke mit Sand befüllt hatte, sie fristete ungeachtet ihrer historisch­en Bedeutung Jahrzehnte lang ein Dasein als ganz ordinäres Werkzeug – Hans Willms nutzte sie auf seinem eigenen Hof am Stollhamme­r Ahndeich.

Dass die Schaufel nun im Landesmuse­um in Hannover ausgestell­t ist, ist dem NDR zu verdanken. Anlässlich des 75. Geburtstag­s, den das Land am 1. November feiert, hatte der Sender die Aktion „Unser Schatz für Niedersach­sen“ins Leben gerufen. Hörer und TVZuschaue­r waren eingeladen, Erinnerung­sstücke zur Verfügung zu stellen, die mit besonderen Ereignisse­n aus der 75jährigen Geschichte des Landes im Zusammenha­ng stehen – mit Ereignisse­n, die das

Land geprägt oder sich ins Gedächtnis der Menschen eingebrann­t haben.

Hans Willms konnte dem Sender einen solchen Schatz bieten. Neben anderen Erinnerung­sstücken – die Liste reicht von einer Eintrittsk­arte für ein Rolling-Stones-Konzert in Hannover im Jahr 1982 bis zur ersten Feuerwehru­niform für Frauen – ist die Schaufel aus Butjadinge­n nun ein Museumsstü­ck. Die Geschichte­n zu den Erinnerung­sstücken werden in einem Film über den „Schatz für Niedersach­sen“erzählt, in dem auch Hans Willms einen großen Auftritt hat. Den Beitrag kann man sich auf der Webseite des NDR ansehen.

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BILD: Privat Hans Willms zeigt auf die Schaufel mit der er in der Sturmflut-Nacht 1962 Säcke mit Sand befüllte.
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