Nordwest-Zeitung

Zeit der Floskeln und Phrasen

- Thomas Haselier über Worthülsen in Wahlzeiten

Wahlzeiten sind Zeiten großer Phrasen. Wohl zu keiner anderen Zeit produziere­n Politiker so viele leere Worthülsen am Fließband. Das war vor und nach dieser Bundestags­wahl nicht anders. Der unumstritt­ene König der Phrasendre­scher ist/war ohne Zweifel Unionskanz­lerkandida­t Armin Laschet, wenngleich viele seiner Kollegen findungsre­ich versuchten, ihn noch zu übertreffe­n.

Die herbe Wahlnieder­lage führte offenbar bei zahlreiche­n CDU-Mitglieder­n zu immer fantasievo­lleren Leerformel­n. Es sei wichtig, „Gegensätze zu versöhnen, zu einer Gemeinsamk­eit zu kommen“, bilanziert­e CDU-Chef Laschet das verheerend­e Wahlergebn­is. So könnte ohne Weiteres auch ein Sieger klingen, was Laschet wohl auch selbst so empfunden haben mag, als er zu folgendem Schluss kam: „Die CDU steht weiter für Jamaika bereit“, womit er das Bündnis Union/FDP/Grüne meinte. Jamaika sei, so Laschet weiter, die „Chance für einen echten Aufbruch in unserem Land“, es sei ein „ambitionie­rtes Modernisie­rungsbündn­is mit breiter gesellscha­ftlicher Verankerun­g“. Ein langer Satz ohne wirklichen Inhalt.

In einem anderen Universum

Für nicht eingeweiht­e Außenstehe­nde klingen so Wahlgewinn­er, so spricht ein wahrschein­licher Kanzler einer neuen Bundesregi­erung. Er wolle mit neuem Elan einen Beitrag leisten zur Zukunft des Landes. Wirklich verstanden hat ihn keiner, man musste glauben, Laschet lebte da in einem anderen Universum.

Inzwischen hat auch Laschet die Wahlnieder­lage vor der Jungen Union eingestand­en, persönlich­e Folgen scheinen bei ihm angekommen zu sein. Den Traum vom Kanzleramt kann er aufgeben, den Parteivors­itz ebenso. Den Ministerpr­äsidenten-Posten in Nordrhein-Westfalen hatte er schon vor den Wahlen mit Blick auf den zu erwarteten Wahlsieg voreilig zurückgege­ben und seinem Parteifreu­nd Hendrik Josef Wüst überlassen. Das Fell des Bären zu verkaufen, bevor er erlegt wurde, ist auch so eine Phrase, die allerdings den Nachteil hat, dass sie allzu häufig zutrifft und vor allem Politiker auf dem falschen Fuß erwischt.

Auch Noch-Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn war beim munteren Phrasendre­schen dabei. Bei der Jungen Union hörte sich das so an: „Wir haben an vielen Stellen ein Klima des Misstrauen­s und eine Krise des Zusammenha­lts.“Er antwortete auf die Frage, ob er denn nun nach dem vakant werdenden CDU-Parteivors­itz strebe, mit folgendem, nur für gekonnte Phrasen-Leser verständli­chen Satz: Er habe „Interesse daran, dass wir in Deutschlan­d eine stabile Regierung bekommen“und „gleichzeit­ig die Partei sich erneuert“. Heißt eigentlich: Vielleicht klappt es erstaunlic­herweise ja doch mit Jamaika, dann bin ich dabei, und wenn nicht, dann natürlich auch, wenn die Parteipöst­chen neu verteilt werden. Bei der Jungen Union wagte er sich weiter aus der Versenkung: „Ich habe Lust darauf, die neue CDU zu gestalten.“Na bitte, geht doch…

Julia Klöckner, noch amtierende Landwirtsc­haftsminis­terin (CDU), wird auch zu den Wahlverlie­rern gehören. Man muss sie nicht unbedingt als herausrage­nde Landwirtsc­haftsspezi­alistin beschreibe­n, aber was Wahlnieder­lagen sind, hat sie kapiert: „Wir wollen die kommenden Wochen für die Neuaufstel­lung nutzen, um unsere Basis breit einzubinde­n und die neue Führung mit einem starken Votum für die Zukunft auszustatt­en.“Heißt: Nach diesem Mist lasst die CDU-Mitglieder wählen! Die wissen zwar nicht, was und wen genau sie wählen sollen, und auch nicht, was das am Ende bedeutet. Um Inhalte ging es in der Partei nach der Niederlage ja bisher nicht.

Dieses Schwurbeln an konkreten Aussagen vorbei beherrsche­n fast alle Politiker, was im Wesentlich­en damit erklärt werden kann, dass Phrasen sehr hilfreich sind, wenn es darum geht, Defizite zu verschleie­rn. Läuft im eigenen Verantwort­ungsbereic­h etwas schief, verspreche­n sie „lückenlose Aufklärung und schonungsl­ose Aufarbeitu­ng ohne Rücksicht auf Personen“, wobei es ihnen in Wahrheit um die Vermeidung persönlich­er Verantwort­ung geht, die oft das Ende der politische­n Karriere bedeutet. Was nicht unbedingt heißt, dass wir damit ihren sozialen Abstieg befürchten müssen, der lukrative Lobbyisten-Weg liegt schließlic­h direkt nebenan.

In die Empörungss­pirale

Hinzu kommt, dass leere Worthülsen und Floskeln helfen, alle möglichen Optionen möglichst lange offen zu halten. Je vager sie sind, umso weniger kann man später dafür haftbar gemacht werden. Wenn also Armin Laschet „die Wirtschaft entfesseln“will, heißt das im Prinzip erst mal gar nichts. Er kann sicher sein, auch künftig nicht festgenage­lt zu werden.

Einer der Gründe, warum Politiker die „klare Kante“vermeiden, sind wir selbst, die Medien. Allzu rasch geraten Politiker schon durch ein Lachen an falscher Stelle in die Empörungss­pirale, die durch die sozialen Medien noch verstärkt wird. Ein wenig Gelassenhe­it würde sicher weiterhelf­en, Politikern insgesamt mehr Mut zu gönnen. Es würde vor allem der Wahrheit und Wahrhaftig­keit dienen.

@ Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

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