Pandemie der Ungeimpften in Rumänien
Vierte Welle in einem bisher nicht gekannten Ausmaß – Staat scheut Konflikt mit der Kirche
Bukarest – „Lasst euch impfen! (...) Gott offenbart sich auch durch die Wissenschaft“: Die Botschaft des Pfarrers Valeriu Roscan aus den östlichen Karpaten ging vor Kurzem durch die Medien in Rumänien. In dem EU-Land wütet die bisher schlimmste CoronaWelle.
Von rumänisch-orthodoxen Geistlichen ist ein solcher Aufruf eine Seltenheit, denn gerade die Gottesdiener dieser Konfession befeuern hier die Impfskepsis. Nur 37,6 Prozent der Rumänen haben bisher den vollen Impfschutz.
Bedrohliche Zahlen
Rumäniens Krankenhäuser sind längst überfordert. 523 Covid-Patienten starben in den letzten 24 Stunden, rund 16 700 Neuinfektionen kamen im selben Zeitraum hinzu. Binnen 14 Tagen wurden zuletzt 999 Fälle pro 100 000 Einwohner gemeldet, eine der höchsten Inzidenzen in der EU. Mit 1867 Covid-Intensivpatienten wurde ein Rekord verzeichnet. Schwerkranke warten tagelang auf den Korridoren. 47 Covid-Patienten wurden bereits zur Behandlung ins Ausland ausgeflogen. Es laufen Hilfe-Gesuche in Richtung EU, auch Deutschland.
Doch prominente Geistliche in Rumänien verteufeln den Impfstoff. Erzbischof Teodosie Petrescu aus der Schwarzmeer-Stadt Constanta behauptet, dass keiner die Verantwortung für die Vakzine trage. Wer sich impfe, „unterschreibt sein Todesurteil“, predigt Teodosie Paraschiv, Mönchpriester im nordöstlichen Kloster Durau. Erzbischof Ambrozie ist wegen ähnlicher Botschaften sogar die Staatsanwaltschaft auf den Fersen. Das Patriarchat in Bukarest hat Derartiges bisher zwar missbilligt und disziplinarische Konsequenzen angedroht. Einen klaren Appell zum Impfen gab es aber von der Kirchenführung nicht.
Zwei Beispiele
Wie jedes Jahr pilgern derzeit Tausende Bukarester zur Reliquie des heiligen Dumitru. Zwar tragen sie Masken in den Warteschlangen vor der Patriarchenkathedrale, aber sie nehmen diese ab, um den Schrein mit ihren Lippen zu berühren. Die Regierung hat das erlaubt. Kirchen bleiben auch für Ungeimpfte ohne Testnachweis offen – während Schulen geschlossen wurden und in sonstigen öffentlichen Räumen die 3G-Regel gilt. Mit der einflussreichen Orthodoxen Kirche, zu der sich 86 Prozent der Rumänen bekennen, hat sich bisher noch kein Bukarester Politiker angelegt.
Meinungsforscher des Instituts IRES sahen einen Rückgang der Impfbereitschaft während des Sommers auf nur 16 Prozent. Ein Grund dürften Signale der Politik sein. „Wir haben die Pandemie praktisch gestoppt“, sagte Staatspräsident Klaus Iohannis im Juni.
Erst seit wenigen Tagen stehen die Rumänen wieder Schlange vor Impfzentren.