Nordwest-Zeitung

Sinn und Unsinn wunderbar gemischt

Regisseuri­n Milena Mönch reduziert Kleists „Käthchen“für die Exerzierha­lle zum starken Stück

- Von Oliver Schulz

Oldenburg – Da schaukelte doch wahrhaftig ein riesiger Gaul in die Exerzierha­lle. Und wie praktisch: Schweif hoch, Heckklappe auf, Alkohol raus und „Hoch die Tassen“zum heutigen 75. Geburtstag dieses Bundesland­es. Niedersach­sen sei „nur besoffen zu ertragen“, soll Landesvate­r Alfred Kubel einst zu später Stunde gesagt haben. Als Ministerpr­äsident der frühen Siebziger war dieser im Jahr 1974 mitverantw­ortlich für die Gründung des Ministeriu­ms für Wissenscha­ft und Kunst, dem heutigen Geldgeber des Oldenburgi­schen Staatsthea­ters. Wichtig ist, was hinten rauskommt!

Dank der mindestens solide zu nennenden finanziell­en Ausstattun­g leistet sich der künstleris­che Landesbetr­ieb mit seinen Häusern in Oldenburg einen üppig ausgestatt­eten Werkstattb­etrieb, der immer wieder in der Lage ist, Inszenieru­ngen mit solch sehenswert­en Bühnenbild­ern, atemberaub­ender Medientech­nik und einzigarti­gen Requisiten auszustatt­en. Und da stand nun also besagtes Pferd (das Tier im Landeswapp­en – Zufall? Ich glaube nicht).

Schwäb’sche Gefühlsbah­n

Geritten wurde zwar nicht zur Premiere von „Käthchen. Ritterin von Heilbronn“, obwohl in Heinrich von Kleists Ritterscha­uspiel einiges an Strecke in Württember­g zurückgele­gt wird. Bekanntlic­h gibt’s auf der Schwäb’schen Gefühlsbah­n gar viele Haltstatio­nen. Dafür diente der Gaul in der Symbolik wechselwei­se als Trojanisch­es Pferd, mal als hohes Ross oder einfach als „Crazy Horse“.

Regisseuri­n Milena Mönch hat sich in ihrer Bearbeitun­g kaum um Konvention­en geschert und ihren Figuren freien Lauf gelassen. Käthchens Unbedingth­eit fasziniert, ihr Freiheitsd­rang soll nicht durch die Abhängigke­it von einem Mann gebremst werden. Anna Seeberger, die im Stück „Drei Schwestern“bereits unter Mönch arbeitete, erfüllt ihre Rolle mit unbändiger Lust und Leidenscha­ft.

Im Original von Kleists Klassiker der Romantik treten mehr als 30 Personen auf. Die Reduktion auf sieben Charaktere hat der Bühnenfass­ung für die Exerzierha­lle gut getan. Zudem bietet der offene Spielort dem Ensemble für 90 Minuten keinerlei Rückzugsmö­glichkeit. Alle sind pausenlos im Szenenbild.

Losgelöst vom Vorbild

Milena Mönch hat sich nicht nur im Titel von Kleist gelöst. Agieren Frauen in dessen Vorlage im tradierten Handlungsm­uster, treten sie bei Mönch aus ihrer Schablone heraus und den Kerlen selbstbewu­sst gegenüber. Die Frauen saufen und lieben, dass es ihnen eine Lust ist, und sie nehmen auch mal das Schwert in die Hand, dass es dem Grafen vom Strahl (Thomas Kramer in seinem ersten starken Auftritt) bang wird.

Der kreative Umgang mit dem klassische­n Stoff ist beachtlich. Doch auch die Vorlage wurde immer wieder bearbeitet, um sie theaterfäh­ig

zu machen. Goethe, beschrieb es dessen Biograf Witkowski, habe sich mit Kleist ein Leben lang nicht anfreunden können. Das „Käthchen von Heilbronn“bezeichnet der Dichterfür­st als „wunderbare­s Gemisch von Sinn und Unsinn“.

Denn genau das ist geworden, was Milena Mönch mit dem Ensemble auf die Bühne gebracht: Eine sehr gelungene Bearbeitun­g der klassische­n Vorlage, die auch das Publikum auf den Bänken der Exerzierha­lle schwer begeistert­e.

 ?? BILD: Stephan Walzl ?? Wer nennt hier Ross und Reiter? Das Szenenbild mit Zainab Alsawah (von links), Thomas Kramer, Caroline Nagel, Anna Seeberger und Thomas Birklein
BILD: Stephan Walzl Wer nennt hier Ross und Reiter? Das Szenenbild mit Zainab Alsawah (von links), Thomas Kramer, Caroline Nagel, Anna Seeberger und Thomas Birklein
 ?? BILD: Stephan Walzl ?? Symbolik zum Jubiläum des Landes Niedersach­sen: Anna Seeberger als Käthchen mit dem Wappentier
BILD: Stephan Walzl Symbolik zum Jubiläum des Landes Niedersach­sen: Anna Seeberger als Käthchen mit dem Wappentier

Newspapers in German

Newspapers from Germany