Ein ganz unprovinzielles Provinztheater
Das Oldenburgische Staatstheater schreibt seit 100 Jahren eine eigene große Operngeschichte
Oldenburg – Große Geschichte entsteht nicht nur durch hereinbrechende Ereignisse. Sie entwickelt sich auch, wenn sich die richtigen Menschen zur richtigen Zeit am richtigen Ort mit den richtigen Ideen und der richtigen Ausdauer treffen. 1920 kamen also in Oldenburg an der gerade zum Landestheater gewordenen Bühne Renato Mordo und Dr. Julius Kopsch zusammen, der eine als Intendant, der andere als Musikdirektor. Ein Jahr später gelangten ihre fantastischen, aber auch recht praktischen Vorstellungen zur Bühnenreife. Sie gründeten die Opernsparte, die in nun 100 Jahren „große Geschichte“geschrieben hat.
Mordo erreichte nach Stationen in Aussig, Teplitz, Breslau, Belgrad, Kairo und Wien als ein mit vielen Wassern gewaschener Theaterpraktiker Oldenburg. Aber er hatte als 26-Jähriger auch aufmüpfigen Geist genug, kleinbürgerliche Gewohnheiten über den Haufen zu werfen. Der gerade gegründete Theaterausschuss spielte ihm einen Steilpass zu, indem er qualitätsvolle Opernaufführungen forderte. Der musikalische Oberleiter vollendete treffsicher: Er führte im Juni 1921 den dritten Akt von Wagners „Meistersingern“auf. Der aufbrandende Jubel
ließ keinen Widerspruch zu. Oldenburg war reif für die Oper.
„Theater für alle“
Nun war dem Publikum diese Gattung nicht fremd. Seit der Gründung des Hoftheaters 1832 gab es Bühnenhandlungen mit Musik, meist in Form von Operetten, besetzt vom Schauspiel mit einigen Verstärkungen. Gelegentlich gastierte die Opernkompanie aus Bremen. Mordo forderte nun mit viel Rückenwind „Theater für alle Schichten in hoher Qualität.“
Vor hehren Ideen steht die Umsetzbarkeit. Die drückte sich in Oldenburg in diesen Zahlen aus: Vor dem 1. Weltkrieg belief sich der Etat des Hoftheaters auf 215000 Mark für Ensemble, Werkstätten und Kapelle. Gut die Hälfte brachten die Zuschauer ein, 100 000 Mark schoss der Herzog zu.
Für die Saison 1920/21 wurde so gerechnet: Etat 1,3 Millionen Mark, Einnahmen durch Zuschauer 750 000 Mark. Die Differenz trugen Stadt und Staat. Oldenburg hatte zu dieser Zeit 38 000 Einwohner.
Zwischen Enthusiasmus und Wirtschaftszwängen fuhr Mordo einen kurvenreichen Kurs, ohne je von der Fahrbahn abzukommen. Intendanz und Regie setzten zu drei Vierteln auf Bewährtes, zu einem Viertel aber auch auf Wagemut. Das traf sich gut mit der Neugier der Oldenburger Bürger – und trifft im Grundsatz mit vielen Ausweitungen bis heute den Nerv.
Offiziell begann die eigene Opernzeit in Oldenburg am
25. September 1921 mit Webers „Freischütz.“Bis dahin standen Operetten mit fast 40 Prozent im Spielplan-Angebot. In der Spielzeit 1921/22 sank es auf zwölf. Der Opern-Anteil erreicht schon 25 Prozent.
Der Musiksparte wurde im eng gesteckten Rahmen viel abverlangt. In der Saison 1925/26 sang der Tenor August Globerger elf Rollen, von Tristan und Parsifal bis zu Othello und Don José. Das soll er sogar ordentlich bewältigt haben.