Von der Einzigartigkeit des Beliebigen
Arbeitsstelle Rolf Dieter Brinkmann ergänzt Sammlung – Suding-Stiftung ermöglicht Ankauf
Vechta – Im Wimmelbild seines künstlerischen Lebens ist manches an Rolf Dieter Brinkmann scharf konturiert, anderes ähnelt einem Ausriss, bleibt unvollständig und fransig, aber immer bedeutungsvoll. Mit seinem Umzug nach Köln zu Beginn der sechziger Jahre konnte sich der in Vechta geborene und aufgewachsene Schriftsteller endlich frei entfalten.
Wie bei den meisten Heranwachsenden in Nachkriegsdeutschland kamen die Einflüsse mit den Besatzern aus den USA und Großbritannien. Brinkmann inhalierte die Lyrik und Musik aus der anderen Welt; einer seiner Fixsterne war Frank O’Hara aus der ersten Generation der „New York School of Poets“, später übersetzte er diesen Dichter der US-Avantgarde.
Die Kölner „Factory“
Aus Brinkmanns Lautsprecher dröhnte die Musik von The Doors und der Stones, deren Frontleute Jim Morrison und Mick Jagger sich vorzugsweise in New Yorker Ateliers tummelten und auch Andy Warhols „The Factory“als Projektionsfläche und Experimentierraum nutzten. Auch deshalb erschien Brinkmann die Kreativarbeitsform nachahmenswert. Das Individuum in der Kunst galt zu dieser Zeit als elitär und bourgeois, das Kollektiv verband als soziales Gebilde die Massen – unter starker Betonung des Handwerklichen und Produktiven.
Die US-Avantgarde beeinflusste Brinkmann viel stärker als die künstlerischen Ausdrucksformen der französischen oder deutschen 68erBewegung. „Das politische Engagement der deutschen Schriftsteller halte ich für eine Flucht. Ein Schriftsteller sollte schreiben“, wird er zitiert.
Brinkmann machte die amerikanische UndergroundLyrik in Deutschland bekannt und wurde selbst zum führenden
Underground-Lyriker, wovon die Gedichtbände „Die Piloten“und „Gras“zeugen. „ACID. Neue amerikanische Szene“(mit Ralf-Rainer Rygulla/Rowohlt) und „Silver Screen. Neue amerikanische Lyrik“(Kiepenheuer & Witsch) nennen ihn als Herausgeber.
Alles ist Kunst: Ein Zitat, das Joseph Beuys als Urheber zugeschrieben wird, ist auch das selbstbewusste Motto der Kölner Künstlergruppe „EXIT“. Hier stand Brinkmann in den Jahren 1968 bis 1970 in engem Austausch mit den Malern und Grafikern Thomas Hornemann,
Berndt Höppner und Henning John von Freyend, die sich als „Bildermacher“bezeichneten. Die Räume in der Steinfeldergasse 24 waren die Kölner „Factory“, also Galerie, Atelier und Aufenthaltsort. „Working Space“trifft es wohl am besten.
„alles ist kunst“
„alles ist kunst: Schluss mit dem Fetischismus!“(...) ihr auto, ihr fernseher, ihre schuhcreme, ihr hund. Lassen Sie nicht länger zu, dass irgend jemand vorn irgend etwas
sagt: das ist nichts!“, heißt es auf einem Propaganda-Plakat von „EXIT“. Es spielt an auf die Demokratisierung der Kunst durch Massenmedien und bleibt Konsumkritik.
Natürlich war auch Brinkmann an Pop-Art interessiert und gestaltete mit den Malerfreunden mehrere Buchpublikationen und Zeitschriften. Die Bilder verzichteten auf Individualität, generierten aber einen Gruppenstil. Sie wirken abstrakt, zeigen nur Umrisse und verzichten auf große, ewige Themen: wie die Gedichte Brinkmanns.