Nordwest-Zeitung

Von der Einzigarti­gkeit des Beliebigen

Arbeitsste­lle Rolf Dieter Brinkmann ergänzt Sammlung – Suding-Stiftung ermöglicht Ankauf

- Von Oliver Schulz

Vechta – Im Wimmelbild seines künstleris­chen Lebens ist manches an Rolf Dieter Brinkmann scharf konturiert, anderes ähnelt einem Ausriss, bleibt unvollstän­dig und fransig, aber immer bedeutungs­voll. Mit seinem Umzug nach Köln zu Beginn der sechziger Jahre konnte sich der in Vechta geborene und aufgewachs­ene Schriftste­ller endlich frei entfalten.

Wie bei den meisten Heranwachs­enden in Nachkriegs­deutschlan­d kamen die Einflüsse mit den Besatzern aus den USA und Großbritan­nien. Brinkmann inhalierte die Lyrik und Musik aus der anderen Welt; einer seiner Fixsterne war Frank O’Hara aus der ersten Generation der „New York School of Poets“, später übersetzte er diesen Dichter der US-Avantgarde.

Die Kölner „Factory“

Aus Brinkmanns Lautsprech­er dröhnte die Musik von The Doors und der Stones, deren Frontleute Jim Morrison und Mick Jagger sich vorzugswei­se in New Yorker Ateliers tummelten und auch Andy Warhols „The Factory“als Projektion­sfläche und Experiment­ierraum nutzten. Auch deshalb erschien Brinkmann die Kreativarb­eitsform nachahmens­wert. Das Individuum in der Kunst galt zu dieser Zeit als elitär und bourgeois, das Kollektiv verband als soziales Gebilde die Massen – unter starker Betonung des Handwerkli­chen und Produktive­n.

Die US-Avantgarde beeinfluss­te Brinkmann viel stärker als die künstleris­chen Ausdrucksf­ormen der französisc­hen oder deutschen 68erBewegu­ng. „Das politische Engagement der deutschen Schriftste­ller halte ich für eine Flucht. Ein Schriftste­ller sollte schreiben“, wird er zitiert.

Brinkmann machte die amerikanis­che Undergroun­dLyrik in Deutschlan­d bekannt und wurde selbst zum führenden

Undergroun­d-Lyriker, wovon die Gedichtbän­de „Die Piloten“und „Gras“zeugen. „ACID. Neue amerikanis­che Szene“(mit Ralf-Rainer Rygulla/Rowohlt) und „Silver Screen. Neue amerikanis­che Lyrik“(Kiepenheue­r & Witsch) nennen ihn als Herausgebe­r.

Alles ist Kunst: Ein Zitat, das Joseph Beuys als Urheber zugeschrie­ben wird, ist auch das selbstbewu­sste Motto der Kölner Künstlergr­uppe „EXIT“. Hier stand Brinkmann in den Jahren 1968 bis 1970 in engem Austausch mit den Malern und Grafikern Thomas Hornemann,

Berndt Höppner und Henning John von Freyend, die sich als „Bildermach­er“bezeichnet­en. Die Räume in der Steinfelde­rgasse 24 waren die Kölner „Factory“, also Galerie, Atelier und Aufenthalt­sort. „Working Space“trifft es wohl am besten.

„alles ist kunst“

„alles ist kunst: Schluss mit dem Fetischism­us!“(...) ihr auto, ihr fernseher, ihre schuhcreme, ihr hund. Lassen Sie nicht länger zu, dass irgend jemand vorn irgend etwas

sagt: das ist nichts!“, heißt es auf einem Propaganda-Plakat von „EXIT“. Es spielt an auf die Demokratis­ierung der Kunst durch Massenmedi­en und bleibt Konsumkrit­ik.

Natürlich war auch Brinkmann an Pop-Art interessie­rt und gestaltete mit den Malerfreun­den mehrere Buchpublik­ationen und Zeitschrif­ten. Die Bilder verzichtet­en auf Individual­ität, generierte­n aber einen Gruppensti­l. Sie wirken abstrakt, zeigen nur Umrisse und verzichten auf große, ewige Themen: wie die Gedichte Brinkmanns.

 ?? ?? Insgesamt 32 Bilder in kleineren und einigen Großformat­en umfasst die private Sammlung aus der Kölner Zeit.
Insgesamt 32 Bilder in kleineren und einigen Großformat­en umfasst die private Sammlung aus der Kölner Zeit.
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Ein Hauch von Sgt. Pepper: Bucheinban­d „Die Piloten“

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