Nordwest-Zeitung

Impfung ja – Impfpflich­t nein

Warum die Corona-Krise zur Vertrauens­krise geworden ist

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Ich bin für die Corona-Impfung, aber gegen eine Impfpflich­t. Ist das ein Widerspruc­h? Nein, denn die Impfquote wird nur weiter steigen, wenn auch das Vertrauen steigt. Eine Impfpflich­t trägt nicht dazu bei – und bringt uns auch sonst nicht voran.

Das hat mehrere Gründe:

■ Was will man mit der Impfpflich­t erreichen? Will man Ungeimpfte zum Einlenken bewegen, die noch unschlüssi­g sind? Dafür gibt es bereits Maßnahmen. Für Ungeimpfte besteht faktisch ein Lockdown mit extremen Einschränk­ungen. Mehr Druck kann man kaum erzeugen.

■ Eine Impfpflich­t muss man durchsetze­n. Die Diskussion über den Unterschie­d zwischen Impfpflich­t und Impfzwang ist scheinheil­ig. Denn eine Impfpflich­t ohne Sanktionen für konsequent­e Verweigere­r ist ein stumpfes Schwert. Doch welche Sanktionen soll es geben – Bußgelder, Erzwingung­shaft, Zwangsimpf­ung mit Polizeiein­satz? Wir stünden vor dem Scherbenha­ufen unserer freiheitli­chdemokrat­ischen Gesellscha­ft.

■ Die Impfpflich­t wird zudem von der bitteren Realität überholt. Welche Überzeugun­gskraft hat sie, wenn auch wir Geimpften uns weiter testen lassen müssen? Wenn auch wir Masken tragen müssen und Kontaktbes­chränkunge­n drohen, weil auch eine Impfung nicht sicher vor Ansteckung schützt. Wo soll das enden? Die Hoffnung, dass die Impfung allein aus der Krise führt, hat sich zerschlage­n. Die Impfung ist aus meiner Sicht unverzicht­bar – aber leider kein Allheilmit­tel. Deshalb ist auch die Ultima Ratio einer

Impfpflich­t, die mit dem gesellscha­ftlichen Sprengstof­f eines mit Gewalt verbundene­n Impfzwangs einhergeht, nicht zu rechtferti­gen.

Desolates Management

Um die Impfung als ein wichtiges Instrument der Pandemiebe­kämpfung voranzubri­ngen, braucht es unermüdlic­he Aufklärung, Eigenveran­twortung

der Bürger und einen Staat, der dieses Instrument so unkomplizi­ert und zuverlässi­g wie möglich zur Verfügung stellt.

Ein Jahr nach Beginn der Impfkampag­ne sind wir davon weit entfernt. Und auch sonst sind das Krisenmana­gement und die Krisenkomm­unikation desolat.

Längst ist die Corona-Krise deshalb zu einer fundamenta­len Vertrauens­krise geworden.

Die Haltung und der Anspruch, dass der Staat allein für den Kampf gegen das Virus verantwort­lich ist, überforder­t diesen.

Allerdings macht der Staat seit Beginn der Krise massive Fehler, die sich erschrecke­nderweise auch noch wiederhole­n.

Anstatt dass er – wie es seine originäre Aufgabe ist – die Instrument­e für den Kampf gegen die Pandemie bereitstel­lt, greift er lieber direkt und kleinteili­g in unser Leben ein und verzettelt sich in Beschränku­ngen, Verordnung­en, Stufenplän­en und Regelungen, die die Bürger verwirren und die eigenen Behörden überlasten.

Wie ist zu rechtferti­gen, dass die Intensivme­dizin wieder an ihre Grenzen stößt, seit Beginn der Pandemie aber mehrere Tausend Intensivbe­tten stillgeleg­t werden mussten?

Wie ist zu erklären, dass man zu Impfungen und Auffrischu­ngen mahnt und gleichzeit­ig Impftermin­e abgesagt werden müssen, weil Impfstoff-Lieferunge­n ausbleiben?

Wie kann man jetzt in der inzwischen vierten Welle noch Verständni­s für eine eilig zusammenge­zimmerte 2G-plusRegel erwarten, wenn die Testkapazi­täten nicht ausreichen? Das trifft auch und vor allem wieder die älteren Menschen, die besonders gefährdet sind. Wie kann man ihnen zumuten, dass sie sich im widrigen Winterwett­er morgens in eine lange Schlange vor einem Testzentru­m einreihen, für das es Zugang nur per OnlineTerm­in und QR-Code auf dem Handy gibt?

Hat man eigentlich darüber nachgedach­t, wie Menschen auf dem Land das nächste Testzentru­m erreichen können?

Völlig lebensfrem­d

Und bleiben wir mal bei der 2G-plus-Regel: Wieso darf ein Kneipenwir­t mit einem Gast nach dem Vier-Augen-Prinzip einen anerkannte­n Schnelltes­t machen, aber nicht eine Frau mit ihrem Ehemann oder ein Sohn mit seiner betagten Mutter?

Das ist alles völlig lebensfrem­d. Hält unser Staat wirklich so wenig von seinen Bürgern, dass hier solches Misstrauen angebracht ist? Da geht nicht nur Vertrauen der Bürger in ihren Staat verloren, da mangelt es auch grundsätzl­ich an Vertrauen des Staats in seine Bürger.

Wir würden diese Krise sehr viel besser meistern, wenn sich jeder auf seinen Beitrag zur Pandemiebe­kämpfung konzentrie­ren würde: Der Staat auf die Bereitstel­lung und Sicherung der erforderli­chen Rahmenbedi­ngungen, wir Bürger auf unsere Eigenveran­twortung.

Wenn wir verstehen, dass wir offenbar mit diesem Virus leben müssen.

Und wenn es endlich wieder mehr Vertrauen als Misstrauen gibt.

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Schönborn. Der 52-jährige Journalist ist Chefredakt­eur der Nordwest-Zeitung.
@ Den Autor erreichen Sie unter Schoenborn@infoautor.de
Autor dieses Beitrages ist Ulrich Schönborn. Der 52-jährige Journalist ist Chefredakt­eur der Nordwest-Zeitung. @ Den Autor erreichen Sie unter Schoenborn@infoautor.de

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