Nordwest-Zeitung

Der ignorierte Volksentsc­heid

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Mit einer Mehrheit von 56,1 % stimmte die Berliner Wählerscha­ft für den Volksentsc­heid der Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“, welcher die Enteignung großer privater Wohnungsko­nzerne und deren Überführun­g in eine Anstalt des öffentlich­en Rechts zum Inhalt hatte. Zwei Monate nachdem die Berliner:innen diesen Willen bekundet hatten, stellte nun die zeitgleich gewählte Landesregi­erung ihre Pläne für die nächsten fünf Jahre vor. Obwohl der Beschlusst­ext des Volksentsc­heids in seiner Formulieru­ng eindeutig ist und den Senat auffordert, geeignete Maßnahmen zur Vergesells­chaftung einzuleite­n, konnte sich die Rot-Grün-Rote Koalition gerade einmal dazu herablasse­n, die Vergesells­chaftung durch ein „Expertengr­emium“überprüfen zu lassen.

Auch wenn der Volksentsc­heid rechtlich nicht bindend ist, zeugt dieses Vorgehen doch von einem zweifelhaf­ten

Demokratie­verständni­s. Anstatt den artikulier­ten Willen umzusetzen, wird weiter über das „ob“anstatt über das „wie?“diskutiert. Bei der Vehemenz, mit der die SPD und Teile der Grünen sich gegen den Volksentsc­heid positionie­rt haben, erscheint die Einsetzung einer überprüfen­den Instanz als Zeitspiel, bei dem die Antwort zum Vergesells­chaftungsg­esetz bereits feststeht.

Ob es zur erstmalige­n Anwendung von Artikel 15 Grundgeset­z, dem „Vergesells­chaftungsp­aragraphen“, also auch tatsächlic­h kommt, ist unklar. Dabei wäre das aus mehreren Gründen wünschensw­ert. Zum einen würde die Berliner Stadtgesel­lschaft mehr Kontrolle und demokratis­che Mitbestimm­ung über den Wohnraum ihrer Stadt erlangen. Zum anderen würde ein zentraler Bereich der Daseinsvor­soge dem Markt abgetrotzt werden. Das Hauptziel ist es jedoch, den explodiere­nden Mieten nachhaltig entgegenzu­wirken, was geschieht, sofern bei der Vergesells­chaftung die Re-Privatisie­rung ausgeschlo­ssen und eine nicht-profitorie­ntierte Rechtsform geschaffen wird, also nicht eine einfache Verstaatli­chung stattfinde­t.

Das oft bemühte Gegenargum­ent, die Enteignung schaffe „keine einzige Wohnung“geht unterdesse­n allein deshalb am Thema vorbei, da blinde Bauwut nicht die Lösung für steigende Mieten ist. Das liegt daran, dass der private, profitorie­ntierte Wohnungsba­u Wohnraum am Bedarf vorbei vor allem für die obere Mittel- und die Oberschich­t schafft, während die Mittel- und Unterschic­hten verdrängt werden. Es hilft also nicht, bloß den privaten Wohnkonzer­nen das Bauen zu erleichter­n, denn die Wohnungen, die gebraucht werden, sind im Vergleich nicht profitabel genug.

Es bleibt zu hoffen, dass die beeindruck­ende Organisati­onsleistun­g der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“Vorbildcha­rakter für ähnliche Vorhaben an anderen Orten und in anderen Bereichen der Daseinsvor­sorge hat.

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Pruschitzk­i. Der 18-Jährige ist Schüler.
Autor dieses Beitrages ist Ole Pruschitzk­i. Der 18-Jährige ist Schüler.

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