Aus den Gräben des Stellungskrieges
Die Hohenzollern-Debatte
Es gibt Themen, die spalten: Corona, die Impfdebatte oder die Klimapolitik. Bei Historikern und Juristen ist es derzeit die Hohenzollern-Debatte. Worum es geht? Die ehemals regierende Familie fordert seit bald 30 Jahren eine Wiedergutmachung für Enteignungen, die sie in der Zeit der sowjetischen Besatzung 1945 erfuhr. Voraussetzung ist, dass sie nicht dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet hat. Zu diesem Thema wurde nun in Berlin ein Sammelband vorgestellt.
22 Autoren beleuchten die vielfältigen mit dieser Debatte verbundenen Aspekte, denn es ist nicht nur Kronprinz Wilhelm
(1882-1951), dessen Verhalten am Ende der Weimarer Republik und der Anfangszeit des Dritten Reichs im Mittelpunkt steht.
In verschiedenen Fachmedien, ob Online oder im Print, sowie in den Feuilletons der großen Zeitungen werden Einlassungen zu diesen Themen veröffentlicht. Auch Autoren dieses Sammelbandes haben sich bereits geäußert und dies nun in wissenschaftlicher Form ausgearbeitet.
Die Historiker und Juristen kommen durchgehend zu dem Schluss, dass die Familie und ganz besonders Kronprinz Wilhelm II. (1882-1951) nicht dem Nationalsozialismus Vorschub geleistet hat, daher ihnen eine Entschädigung zusteht. Sie räumen jedoch ein, dass der Kronprinz charakterliche Defizite hatte und die Familie in der Zeit der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus kein gutes Bild abgab.
Ein solches Fazit zieht beispielsweise der Bremer Historiker Lothar Machtan, der vor kurzem seine Studie „Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzollerns blinder Fleck“veröffentlichte. Er schildert in seinem Buch den Kronprinzen als Tunichtgut, der entweder exklusiven Hobbys nachging oder in Urlaub fuhr, aber wegen seines mangelnden strategischen und politischen Handelns keine entscheidende Figur in der Endphase der Weimarer Republik darstellte.
Machtan argumentiert, dass Wilhelm den Nazis seinen Einfluss als ehemaliger Kronprinz und Mitglied der Familie der Hohenzollern nicht zur Verfügung stellen konnte, weil er wegen seines Lebenswandels über kein symbolisches Kapital mehr verfügen konnte. Damit zielt er auf den in Edinburgh lehrenden Historiker Stephan Malinowski. Der kommt in seinem gerade veröffentlichten Werk „Die Hohenzollern und die Nazis. Geschichte einer Kollaboration“zu einem anderen Urteil. Die Positionen sind klar, die Fronten gezogen. In dem Buch sind sie zu erleben.
Die Hohenzollerndebatte. Beiträge zu einem geschichtspolitischen Streit. Berlin, 2021, 430 Seiten, 29,90 Euro.