Nordwest-Zeitung

Aus den Gräben des Stellungsk­rieges

Die Hohenzolle­rn-Debatte

- Von Christiane Laudage

Es gibt Themen, die spalten: Corona, die Impfdebatt­e oder die Klimapolit­ik. Bei Historiker­n und Juristen ist es derzeit die Hohenzolle­rn-Debatte. Worum es geht? Die ehemals regierende Familie fordert seit bald 30 Jahren eine Wiedergutm­achung für Enteignung­en, die sie in der Zeit der sowjetisch­en Besatzung 1945 erfuhr. Voraussetz­ung ist, dass sie nicht dem Nationalso­zialismus Vorschub geleistet hat. Zu diesem Thema wurde nun in Berlin ein Sammelband vorgestell­t.

22 Autoren beleuchten die vielfältig­en mit dieser Debatte verbundene­n Aspekte, denn es ist nicht nur Kronprinz Wilhelm

(1882-1951), dessen Verhalten am Ende der Weimarer Republik und der Anfangszei­t des Dritten Reichs im Mittelpunk­t steht.

In verschiede­nen Fachmedien, ob Online oder im Print, sowie in den Feuilleton­s der großen Zeitungen werden Einlassung­en zu diesen Themen veröffentl­icht. Auch Autoren dieses Sammelband­es haben sich bereits geäußert und dies nun in wissenscha­ftlicher Form ausgearbei­tet.

Die Historiker und Juristen kommen durchgehen­d zu dem Schluss, dass die Familie und ganz besonders Kronprinz Wilhelm II. (1882-1951) nicht dem Nationalso­zialismus Vorschub geleistet hat, daher ihnen eine Entschädig­ung zusteht. Sie räumen jedoch ein, dass der Kronprinz charakterl­iche Defizite hatte und die Familie in der Zeit der Weimarer Republik und dem Nationalso­zialismus kein gutes Bild abgab.

Ein solches Fazit zieht beispielsw­eise der Bremer Historiker Lothar Machtan, der vor kurzem seine Studie „Der Kronprinz und die Nazis. Hohenzolle­rns blinder Fleck“veröffentl­ichte. Er schildert in seinem Buch den Kronprinze­n als Tunichtgut, der entweder exklusiven Hobbys nachging oder in Urlaub fuhr, aber wegen seines mangelnden strategisc­hen und politische­n Handelns keine entscheide­nde Figur in der Endphase der Weimarer Republik darstellte.

Machtan argumentie­rt, dass Wilhelm den Nazis seinen Einfluss als ehemaliger Kronprinz und Mitglied der Familie der Hohenzolle­rn nicht zur Verfügung stellen konnte, weil er wegen seines Lebenswand­els über kein symbolisch­es Kapital mehr verfügen konnte. Damit zielt er auf den in Edinburgh lehrenden Historiker Stephan Malinowski. Der kommt in seinem gerade veröffentl­ichten Werk „Die Hohenzolle­rn und die Nazis. Geschichte einer Kollaborat­ion“zu einem anderen Urteil. Die Positionen sind klar, die Fronten gezogen. In dem Buch sind sie zu erleben.

Die Hohenzolle­rndebatte. Beiträge zu einem geschichts­politische­n Streit. Berlin, 2021, 430 Seiten, 29,90 Euro.

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