Die Zylinder-Revolution
Geradezu Revolutionäres zeichnet sich in Hannover ab: Oberbürgermeister Belit Onay will mit einer fast 720jährigen Tradition brechen und das Amt der Bruchmeister auch für Frauen öffnen. Dagegen nimmt sich der Versuch des Grünen-Politikers, die Autos aus der Innenstadt auszusperren, wie ein Sturm im Wasserglas aus. Das Ehrenamt der vier Bruchmeister, die auf dem weltgrößten Schützenfest für Ordnung sorgen und Verstöße ahnden, ist bislang allein Männern vorbehalten. Ihr Markenzeichen auf dem Festplatz: schwarzer Cut und Zylinder mit Kleeblatt.
Bruchmeisterinnen würden dem größten Schützenfest der Welt guttun, sagt Onay, und könnten ein Zeichen für gelebte, bewegliche Tradition sein. „Im Jahr 2022 ist das ein absolut logischer und richtiger Schritt.“Man erreiche damit sicher mehr Menschen, als es derzeit der Fall sei. Die hannoverschen Medien schäumen vor Freude, ob des schönen Themas jenseits von Corona. Die Betroffenen selbst kochen vor Wut.
Zwar weiß Onay Schützenchef Paul-Eric Stolle an seiner Seite. Doch unter den gut 170 Bruchmeistern haben die Umsturz-Pläne für Verärgerung, Wut und Unverständnis gesorgt. Prompt startete der Bruchmeister von 2013, Kai Sander, eine Petition zur Rettung der hannöverschen Tradition. Mehr als 200 Unterschriften kamen in Kürze zusammen. Sogar der Präsident der Lindener Narren, Martin
Argendorf, hat unterschrieben. Die Herrenriege um Sander warnt vor einem Traditionsbruch. Immerhin gebe es den Freundschaftsverein, der seit einigen Jahren auch Frauen aufnimmt.
Die Argumentation kommt bekannt vor: Auch die Wildeshauser Schützengilde nimmt – unter Hinweis auf die Historie – nur Männer auf, die am Dienstag nach Pfingsten zum Königsschießen ausmarschieren. In Memmingen (Allgäu) fiel dagegen eine letzte Männer-Bastion: Christine Renz klagte sich erfolgreich beim Ausfischen des Stadtbachs, dem Höhepunkt des dortigen Volksfestes, ein. Das war zuvor laut Satzung nur Männern vorbehalten. Und auch beim Bremer Schaffermahl sind Frauen willkommene Gäste. Den Bann brach hier übrigens 2007 Ex-Kanzlerin Merkel.
An diesem Freitag kommt es im hannöverschen Verwaltungsrat, in dem Vertreter von Stadtverwaltung, Politik und Schützenvereinen sitzen, zum Schwur. Denn nachdem das Schützenfest wegen der Pandemie in den vergangenen zwei Jahren ausgefallen war, steht nun bald die Benennung von Bruchmeister*innen an. Mit der Sportschützin Meike Hilbeck (23), zugleich Satirepolitikerin der Gruppierung „Die Partei & Volt“in der Region, hat sich bereits die erste Interessentin gemeldet. Sie möchte das Image des Schießsports aufwerten. Hut ab!