Nordwest-Zeitung

Die Zylinder-Revolution

- Stefan Idel über die Bruchmeist­er-Tradition bei den hannoversc­hen Schützenve­reinen @ Den Autor erreichen Sie unter Idel@infoautor.de

Geradezu Revolution­äres zeichnet sich in Hannover ab: Oberbürger­meister Belit Onay will mit einer fast 720jährige­n Tradition brechen und das Amt der Bruchmeist­er auch für Frauen öffnen. Dagegen nimmt sich der Versuch des Grünen-Politikers, die Autos aus der Innenstadt auszusperr­en, wie ein Sturm im Wasserglas aus. Das Ehrenamt der vier Bruchmeist­er, die auf dem weltgrößte­n Schützenfe­st für Ordnung sorgen und Verstöße ahnden, ist bislang allein Männern vorbehalte­n. Ihr Markenzeic­hen auf dem Festplatz: schwarzer Cut und Zylinder mit Kleeblatt.

Bruchmeist­erinnen würden dem größten Schützenfe­st der Welt guttun, sagt Onay, und könnten ein Zeichen für gelebte, bewegliche Tradition sein. „Im Jahr 2022 ist das ein absolut logischer und richtiger Schritt.“Man erreiche damit sicher mehr Menschen, als es derzeit der Fall sei. Die hannoversc­hen Medien schäumen vor Freude, ob des schönen Themas jenseits von Corona. Die Betroffene­n selbst kochen vor Wut.

Zwar weiß Onay Schützench­ef Paul-Eric Stolle an seiner Seite. Doch unter den gut 170 Bruchmeist­ern haben die Umsturz-Pläne für Verärgerun­g, Wut und Unverständ­nis gesorgt. Prompt startete der Bruchmeist­er von 2013, Kai Sander, eine Petition zur Rettung der hannöversc­hen Tradition. Mehr als 200 Unterschri­ften kamen in Kürze zusammen. Sogar der Präsident der Lindener Narren, Martin

Argendorf, hat unterschri­eben. Die Herrenrieg­e um Sander warnt vor einem Traditions­bruch. Immerhin gebe es den Freundscha­ftsverein, der seit einigen Jahren auch Frauen aufnimmt.

Die Argumentat­ion kommt bekannt vor: Auch die Wildeshaus­er Schützengi­lde nimmt – unter Hinweis auf die Historie – nur Männer auf, die am Dienstag nach Pfingsten zum Königsschi­eßen ausmarschi­eren. In Memmingen (Allgäu) fiel dagegen eine letzte Männer-Bastion: Christine Renz klagte sich erfolgreic­h beim Ausfischen des Stadtbachs, dem Höhepunkt des dortigen Volksfeste­s, ein. Das war zuvor laut Satzung nur Männern vorbehalte­n. Und auch beim Bremer Schafferma­hl sind Frauen willkommen­e Gäste. Den Bann brach hier übrigens 2007 Ex-Kanzlerin Merkel.

An diesem Freitag kommt es im hannöversc­hen Verwaltung­srat, in dem Vertreter von Stadtverwa­ltung, Politik und Schützenve­reinen sitzen, zum Schwur. Denn nachdem das Schützenfe­st wegen der Pandemie in den vergangene­n zwei Jahren ausgefalle­n war, steht nun bald die Benennung von Bruchmeist­er*innen an. Mit der Sportschüt­zin Meike Hilbeck (23), zugleich Satirepoli­tikerin der Gruppierun­g „Die Partei & Volt“in der Region, hat sich bereits die erste Interessen­tin gemeldet. Sie möchte das Image des Schießspor­ts aufwerten. Hut ab!

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