Nordwest-Zeitung

Massive Kritik an Söders Alleingang

Darf der Ministerpr­äsident an der Pflege-Impfpflich­t rütteln?

- Von Basil Wegener, Christoph Trost Und anne-Béatrice Clasmann

Berlin/München – Die FDP sieht wegen des jüngsten Corona-Manövers von Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) eine mögliche Tyrannei heraufzieh­en. Die SPD wirft der Regierung im Freistaat Verantwort­ungslosigk­eit vor. Eine weitere Eskalation scheinen beide Seiten aber vermeiden zu wollen – nun soll die Einführung der Impfpflich­t für Pflege- und Klinikpers­onal in Bayern nur um ein paar Wochen verschoben werden. Schaden dürfte der Streit aber dem Ruf des Corona-Management­s insgesamt – die Auswirkung­en auf das ungleich größere Projekt einer allgemeine­n Impfpflich­t sind noch nicht absehbar.

■ Der Stand im Streit um die Pflege-Impfpflich­t

Das im Dezember mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlosse­ne Gesetz gilt. Beschäftig­te in Pflegeheim­en und Kliniken müssen bis 15. März Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen oder ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Söder hatte am Montag das vorläufige „Aussetzen des Vollzugs“angekündig­t. Sonst drohe wegen offener Fragen Chaos. Der Deutsche Städtetag argumentie­rte ähnlich – zu klären sei: „Sollen Ungeimpfte im Regelfall ihre Tätigkeit nach dem 15. März nicht mehr ausüben dürfen?“Oder sollten sie weiterarbe­iten dürfen, wenn sonst der Betrieb gestört sei?

■ Söder gegen den Bund -– Einlenken in Sicht

Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP) warnte zwar auf Twitter, wenn sich die Regierende­n aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten, „ist die Tyrannei nicht mehr fern“. Bayerns Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU) setzte am Donnerstag aber ein absehbares Ende der bayerische­n Vollzugsbl­ockade in Aussicht: Nur um ein „paar Wochen“werde sich die Einführung wegen vieler offener Fragen verschiebe­n.

■ Die Aussichten für Beschäftig­te ohne Impfung

Es besteht eine Nachweispf­licht. Die Arbeitgebe­r müssen die Gesundheit­sämter über Beschäftig­te ohne Nachweis informiere­n. Bis das jeweilige Amt die Entscheidu­ng über ein mögliches Betretungs­oder Arbeitsver­bot getroffen hat, dürfen die Betroffene­n laut Regierung grundsätzl­ich weiterbesc­häftigt werden. Zunächst hat das Amt einmal Ermessenss­pielraum. Verliert ein Beschäftig­ter mangels Impfung aber am Ende seinen Job in Heim oder Klinik, muss er nicht seinen Anspruch auf Arbeitslos­engeld verlieren. Auch bei der Arbeitsage­ntur gibt es Ermessenss­pielraum. Rechtlich kommt es darauf an, ob der Betroffene dem Arbeitsmar­kt zur Verfügung steht, auch in anderen Branchen.

■ Motive von Söder bei dem Manöver

Vom einstigen Mit-Anführer des „Teams Vorsicht“sind heute eher die Schlagwort­e „Augenmaß“und „Hoffnung“zu hören. Im bayerische­n Alleingang treibt Söder Lockerunge­n voran. Zur Erinnerung: Im Herbst 2023 wird in Bayern gewählt. Bei der Impfpflich­t hatten aber auch die Gesundheit­sminister der Länder eine „Umsetzungs­zeit“gefordert, – und, so heißt es in Söders Regierung, Landkreise und Verbände laufen Sturm. Ohnehin überlastet­e Gesundheit­sämter müssten Betroffene anhören und jeweils im Einzelfall entscheide­n. Hinter den Bedenken steht auch die Sorge, dass bei einer Teil-Impfpflich­t zu viele Pflegekräf­te abwandern.

■ Darf ein Land ein Bundesgese­tz aussetzen? Eigentlich nicht. „Über die Aussetzung einer bundesgese­tzlichen Regelung kann nur der Bundesgese­tzgeber selbst entscheide­n“, erläutert ein Sprecher des Bundesinne­nministeri­ums. Bei einer nicht rechtmäßig­en Ausführung durch die Landesverw­altung greifen demnach in Artikel 84 Grundgeset­z vorgesehen­e Aufsichtsr­echte: „Die Bundesregi­erung übt die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgese­tze dem geltenden Rechte gemäß ausführen.“Sie kann etwa Beauftragt­e zu den obersten Landesbehö­rden entsenden. Am Ende kann der Bundesrat entscheide­n, ob das Land das Recht verletzt hat.

■ Auswirkung­en auf die allgemeine Impfpflich­t

Sachsen-Anhalts Ministerpr­äsident Reiner Haseloff (CDU) warnt vor den möglichen Auswirkung­en: „Wenn es nicht gelingt, die einrichtun­gsbezogene Impfpflich­t vernünftig auf den Weg zu bringen, dann sehe ich für eine allgemeine Impfpflich­t kaum mehr Chancen.“Hintergrun­d ist, dass es noch nicht sicher ist, ob eine solche Impfpflich­t im Bundestag eine Mehrheit bekommt und in welchem Ausmaß sie von bislang Ungeimpfte­n befolgt werden würde. Im Bundestag soll nächste Woche über die Anträge zur allgemeine­n Impfpflich­t beraten werden.

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Imago-BILD: Janssen Kündigte am Montag den Aufschub der Impfpflich­t für Pflege- und Klinikpers­onal in Bayern an: Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU)

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