Massive Kritik an Söders Alleingang
Darf der Ministerpräsident an der Pflege-Impfpflicht rütteln?
Berlin/München – Die FDP sieht wegen des jüngsten Corona-Manövers von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) eine mögliche Tyrannei heraufziehen. Die SPD wirft der Regierung im Freistaat Verantwortungslosigkeit vor. Eine weitere Eskalation scheinen beide Seiten aber vermeiden zu wollen – nun soll die Einführung der Impfpflicht für Pflege- und Klinikpersonal in Bayern nur um ein paar Wochen verschoben werden. Schaden dürfte der Streit aber dem Ruf des Corona-Managements insgesamt – die Auswirkungen auf das ungleich größere Projekt einer allgemeinen Impfpflicht sind noch nicht absehbar.
■ Der Stand im Streit um die Pflege-Impfpflicht
Das im Dezember mit breiter Mehrheit von Bundestag und Bundesrat beschlossene Gesetz gilt. Beschäftigte in Pflegeheimen und Kliniken müssen bis 15. März Nachweise als Geimpfte oder Genesene vorlegen oder ein Attest, nicht geimpft werden zu können. Söder hatte am Montag das vorläufige „Aussetzen des Vollzugs“angekündigt. Sonst drohe wegen offener Fragen Chaos. Der Deutsche Städtetag argumentierte ähnlich – zu klären sei: „Sollen Ungeimpfte im Regelfall ihre Tätigkeit nach dem 15. März nicht mehr ausüben dürfen?“Oder sollten sie weiterarbeiten dürfen, wenn sonst der Betrieb gestört sei?
■ Söder gegen den Bund -– Einlenken in Sicht
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) warnte zwar auf Twitter, wenn sich die Regierenden aussuchen, an welche Gesetze sie sich halten, „ist die Tyrannei nicht mehr fern“. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) setzte am Donnerstag aber ein absehbares Ende der bayerischen Vollzugsblockade in Aussicht: Nur um ein „paar Wochen“werde sich die Einführung wegen vieler offener Fragen verschieben.
■ Die Aussichten für Beschäftigte ohne Impfung
Es besteht eine Nachweispflicht. Die Arbeitgeber müssen die Gesundheitsämter über Beschäftigte ohne Nachweis informieren. Bis das jeweilige Amt die Entscheidung über ein mögliches Betretungsoder Arbeitsverbot getroffen hat, dürfen die Betroffenen laut Regierung grundsätzlich weiterbeschäftigt werden. Zunächst hat das Amt einmal Ermessensspielraum. Verliert ein Beschäftigter mangels Impfung aber am Ende seinen Job in Heim oder Klinik, muss er nicht seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren. Auch bei der Arbeitsagentur gibt es Ermessensspielraum. Rechtlich kommt es darauf an, ob der Betroffene dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, auch in anderen Branchen.
■ Motive von Söder bei dem Manöver
Vom einstigen Mit-Anführer des „Teams Vorsicht“sind heute eher die Schlagworte „Augenmaß“und „Hoffnung“zu hören. Im bayerischen Alleingang treibt Söder Lockerungen voran. Zur Erinnerung: Im Herbst 2023 wird in Bayern gewählt. Bei der Impfpflicht hatten aber auch die Gesundheitsminister der Länder eine „Umsetzungszeit“gefordert, – und, so heißt es in Söders Regierung, Landkreise und Verbände laufen Sturm. Ohnehin überlastete Gesundheitsämter müssten Betroffene anhören und jeweils im Einzelfall entscheiden. Hinter den Bedenken steht auch die Sorge, dass bei einer Teil-Impfpflicht zu viele Pflegekräfte abwandern.
■ Darf ein Land ein Bundesgesetz aussetzen? Eigentlich nicht. „Über die Aussetzung einer bundesgesetzlichen Regelung kann nur der Bundesgesetzgeber selbst entscheiden“, erläutert ein Sprecher des Bundesinnenministeriums. Bei einer nicht rechtmäßigen Ausführung durch die Landesverwaltung greifen demnach in Artikel 84 Grundgesetz vorgesehene Aufsichtsrechte: „Die Bundesregierung übt die Aufsicht darüber aus, dass die Länder die Bundesgesetze dem geltenden Rechte gemäß ausführen.“Sie kann etwa Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden. Am Ende kann der Bundesrat entscheiden, ob das Land das Recht verletzt hat.
■ Auswirkungen auf die allgemeine Impfpflicht
Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) warnt vor den möglichen Auswirkungen: „Wenn es nicht gelingt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht vernünftig auf den Weg zu bringen, dann sehe ich für eine allgemeine Impfpflicht kaum mehr Chancen.“Hintergrund ist, dass es noch nicht sicher ist, ob eine solche Impfpflicht im Bundestag eine Mehrheit bekommt und in welchem Ausmaß sie von bislang Ungeimpften befolgt werden würde. Im Bundestag soll nächste Woche über die Anträge zur allgemeinen Impfpflicht beraten werden.