Nordwest-Zeitung

Drogen auf die Wache liefern lassen

Skandal erschütter­te 2020 die Münchener Polizei – Erstes Geständnis verläuft tränenreic­h

- Von Britta Schultejan­s

München – Wenn der 28-Jährige heute in dem Münchener Viertel, in dem er lebt, einen Streifenwa­gen sieht, dann schaut er weg. Es falle ihm schwer, den Kollegen in die Augen zu sehen, sagt er – und schluchzt. „Dass sich Kollegen wegen dem Verhalten von mir, von Einzelnen rechtferti­gen müssen“, das beschäme ihn. „Dass sie so behandelt werden, als wären alle so.“

37 Beamte verwickelt

Mit einem tränenreic­hen Geständnis hat vor dem Amtsgerich­t am Donnerstag ein Prozess um den Drogen-Skandal begonnen, der die Münchener Polizei – und die Öffentlich­keit – 2020 erschütter­te. Der Angeklagte ist einer von 37 Polizeibea­mten, denen vorgeworfe­n wurde, in den Skandal verwickelt zu sein.

Die Staatsanwa­ltschaft geht davon aus, dass er sich Kokain

auf die Polizeiwac­he und zum Dienst auf das Oktoberfes­t liefern ließ. Außerdem soll er selbst Drogen an Kollegen verkauft und seinen Dealer vor Ermittlung­en gewarnt haben.

Er habe „Scheiß gebaut“, sagt der 28-Jährige in seinem stundenlan­gen, immer wieder

von lautem Schluchzen unterbroch­enen Geständnis. „Wir haben zusammen gefeiert, wir haben zusammen Drogen konsumiert.“Er wolle „offen und ehrlich“sein.

Der Angeklagte schildert eine große berufliche und private „Doppelbela­stung“, weil er regelmäßig aus München zu seiner Familie in Thüringen habe pendeln müssen. Und für diese Belastung habe er „ein Ventil“gebraucht. Eine „Parallelwe­lt“nennt er seinen Drogenkons­um im Münchener Nachtleben. Eine „Möglichkei­t, auszubrech­en“, sagt er. 2016 habe er das erste Mal Kokain konsumiert. „Irgendwas hat mich, verdammt noch mal, dazu gebracht zu sagen: ja.“

Ja sagte er laut Anklage auch danach noch sehr oft: Mindestens 69 Mal soll er in den Jahren 2016 und 2017 Kokain gekauft haben. Doch dabei blieb es nicht: Er räumt ein, die Drogen an Polizeikol­legen weitergege­ben zu haben, auch wenn er bestreitet, daran verdient zu haben. Er habe die Drogen zwar für andere besorgt – aber nie mehr Geld dafür verlangt, als er selbst dafür bezahlt habe. Warum immer er die Drogen für alle besorgt hat, wisse er heute auch nicht mehr. Vielleicht aus einem gewissen Geltungsdr­ang: „Jetzt bin ich hier mal der Coole.“

Dealer gewarnt?

Insgesamt 79 Straftaten sind angeklagt, einer der Vorwürfe wiegt besonders schwer: Verrat von Dienstgehe­imnissen. Anfang 2017 nämlich war er zu einem Vorstellun­gsgespräch im Kommissari­at 83 – der Rauschgift­fahndung. Als er dort ein Bild seines Dealers an der Wand entdeckte, soll er ihn anschließe­nd vor den Ermittlung­en gewarnt haben. Das bestreitet der ansonsten weitgehend geständige 28-Jährige allerdings. Sein Drogenkons­um und sein Job als Polizist seien sich niemals in die Quere gekommen, beteuert er. Auch von Polizisten-Rabatten auf Kokain, von denen sein früherer Dealer, der das Verfahren gegen die Polizisten als Kronzeuge ins Rollen brachte, mehrfach gesprochen hat, wisse er nichts.

 ?? Dpa-BILD: Hörhager ?? Der Angeklagte beim Auftakt des Prozesses im Gerichtssa­al des Amtsgerich­ts München.
Dpa-BILD: Hörhager Der Angeklagte beim Auftakt des Prozesses im Gerichtssa­al des Amtsgerich­ts München.

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