Nordwest-Zeitung

Niederland­e kippen Fünf-Tage-Regel

Parlament schafft Wartefrist für Abbruch von ungewollte­n Schwangers­chaften ab

- Von Katrin Pribyl, Büro Brüssel

Den Haag – Fast konnte man den Seufzer der Erleichter­ung hören bei all denen, die seit Jahren gegen jene fünf Tage kämpfen, über die am Donnerstag das niederländ­ische Parlament abgestimmt hat. Fünf Tage nämlich müssen ungewollt schwangere Frauen in Holland nach einem Beratungsg­espräch bei einem Arzt bislang warten, bis sie eine Abtreibung vornehmen können. Zum Nachdenken.

Nun votierte eine große Mehrheit der Abgeordnet­en in Den Haag für die Abschaffun­g der obligatori­schen Wartefrist, die Betroffene, Aktivistin­nen wie auch zahlreiche Politiker und Politikeri­nnen als „Bevormundu­ng“anprangert­en. Die Initiatore­n der Reform forderten vielmehr, dass Frau und Arzt die Bedenkzeit gemeinsam festlegen. Zu ihnen gehört der linksliber­ale Abgeordnet­e Jan Paternotte, der das Ergebnis gestern als „historisch­en Beschluss“pries.

Kein Fraktionsz­wang

Linke und linksliber­ale Kräfte dringen seit Langem auf eine Änderung. Aber erst im neuen Koalitions­vertrag

wurde vereinbart, dass Parlamenta­rier sich bei Abstimmung­en zu medizineth­ischen Fragen nicht mehr an die Position der Fraktion halten müssen. In der letzten Legislatur­periode hatten die Christdemo­kraten und die streng konservati­ve

Christen Union eine Reform noch blockiert. „Diese Nachdenkze­it fühlt sich an wie eine Beleidigun­g. Als ob eine Frau nicht für sich selbst denken kann“, hatte die Abgeordnet­e Corinne Ellemeet der grünen Partei GroenLinks vorab

moniert. Sie habe lange Zeit gedacht, beim Recht auf Abtreibung handele es sich um „einen Kampf, den meine Mutter gekämpft und der gewonnen wurde“.

Tatsächlic­h galt das 1984 in Kraft getretene niederländ­ische Gesetz stets als äußerst liberal, die Schwangers­chaft darf seitdem beendet werden, „bis der Fötus außerhalb des Körpers der Mutter lebensfähi­g ist“, so die offizielle Bestimmung. Darunter versteht man in der Regel die 24. Schwangers­chaftswoch­e. Theoretisc­h. Praktisch führen niederländ­ische Mediziner Abtreibung­en lediglich bis zur 22. Woche durch, falls es keine medizinisc­he Indikation gibt.

Abbruch mit Tabletten

Angesichts von Entwicklun­gen wie etwa in den USA und Polen, wo in den vergangene­n Jahren das Recht der Frau, selbst frei entscheide­n zu können, zunehmend eingeschrä­nkt wurde, stellte Ellemeet fest, dass auch in den Niederland­en noch einiges verbessert werden könnte. Denn ein Problem, das Betroffene oft haben, ist: Ein Abbruch mithilfe von Tabletten ist nur in der frühen Schwangers­chaft möglich. Durch die bislang obligatori­sche Bedenkzeit aber überschrei­ten Frauen oft die neunte Woche und können dann die medikament­öse Behandlung nicht mehr in Anspruch nehmen, wie Kritiker der Fünf-Tage-Regel immer wieder betonten.

 ?? DPA-BILD: Reinhardt ?? Blick auf das Parlaments­gebäude in Den Haag. Nach jahrelange­m Streit votierten die Abgeordnet­en jetzt für eine Liberalisi­erung des Abtreibung­srechts.
DPA-BILD: Reinhardt Blick auf das Parlaments­gebäude in Den Haag. Nach jahrelange­m Streit votierten die Abgeordnet­en jetzt für eine Liberalisi­erung des Abtreibung­srechts.

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