Nordwest-Zeitung

„Aufteilen oder eine neue Regierung“

Wie in Russland schon heute das Schicksal der besiegten Ukraine diskutiert wird

- Von Alexander Will

In Russland sind die Medien nicht frei – aber sie haben Freiheiten. Zum einen sind sie Verkünder von Regierungs­politik. Zum anderen lassen in den Medien ausgetrage­ne Diskussion­en russischer Experten Rückschlüs­se auf Entwicklun­gen zu. Das war bereits während der russischen Interventi­on in Syrien der Fall. Welches Framing des Krieges bietet die russische Regierung ihren Bürgern an und welches Schicksal der Ukraine wird in Russland diskutiert?

Wie den Krieg erklären?

Ein Blick in eine der meistgeles­enen russischen Zeitungen, die „Komsomolsk­aja Prawda“– Auflage rund 850000, Eigentümer: zwei Oligarchen mit guten Verbindung­en

Kreml – schafft Orientieru­ng. Zunächst geht es um Begriffe. Wer die Begriffe prägt, prägt das Denken. So spricht das Blatt, wie auch andere Zeitungen, konsequent von einer „Spezialope­ration“. Das Wort „Krieg“vermeiden die Redakteure und liefern die Begründung gleich mit: In der Ukraine gehe es nicht darum, Ressourcen oder Territoriu­m zu erobern – nein, man wolle ja nur die „friedliche Zivilbevöl­kerung des Donbass“schützen und „im Rahmen des Rechts auf Selbstvert­eidigung“den Beitritt der Ukraine zur Nato verhindern. „Weil die Ausdehnung der Nato in den Osten unsere Sicherheit gefährdet.“Dass diese Bedrohung schon präsent gewesen sei, macht die Zeitung ihren Lesern zudem weis: „Es gab dort mehr als zehn Militärbas­en, auf denen unter dem Vorwand

Ausbildung­smissionen bereits ausländisc­he Einheiten präsent waren.“

Die russische Regierung rechtferti­gt den Krieg, den sie nicht Krieg nennt, also nach innen als ausschließ­lich humanitäre Interventi­on und Antwort auf eine Bedrohung.

Die Diskussion über das Schicksal der Ukraine nach einem möglichen russischen Sieg, die in einem anderen Artikel im gleichen Blatt geführt wird, straft diese Interpreta­tion allerdings Lügen.

Was tun mit der Ukraine?

Unter der Überschrif­t: „Aufteilen oder eine neue Regierung: Was die Ukraine nach der Spezialope­ration erwartet“wird Klartext geredet und zwar von gleich mehreren russischen Geostrateg­en. Sergej Fokin, Professor an der „Akazum demie für Volkswirts­chaft und Öffentlich­en Dienst beim Präsidente­n der Russischen Föderation“, einem der StrategieT­hinktanks Russlands, erwartet zunächst eine Serie von Schauproze­ssen gegen „Kriegsverb­recher“, also all jene, die sich russischen Machtanspr­üchen in der Ukraine widersetze­n. „Wenn die Amerikaner das machen, können wir das auch.“

Was soll mit dem Staat geschehen? Nach einer Übergangsp­eriode könne man wählen lassen, natürlich unter Ausschluss von „Nationalis­ten“und nach „Unterstütz­ung prorussisc­her Kräfte“. Als Übergangsp­räsident böte sich Viktor Janukowits­ch an – eben jener korrupte Ex-Präsident, der nach den Maidan-Protesten abgesetzt wurde.

Im Grunde geht es also um die Einsetzung einer Mariovon netten-Regierung. Das macht in dem Artikel Wjatschesl­aw Nikonow deutlich. Der ist stellvertr­etender Vorsitzend­er des Auswärtige­n Ausschusse­s des Parlamente­s: „Wir werden darauf bestehen, dass dort eine Regierung an die Macht kommt, die sich für konstrukti­ve Beziehunge­n mit unserem Land einsetzt.“Dafür werde man „absolut alles“tun.

Aber: „Wenn der Westen das nicht anerkennt und weiter eskaliert, etwa mit Sanktionen, dann könnte das ganze in einer Teilung oder Föderalisi­erung der Ukraine enden.“Das sagt Alexander Losew, Mitglied des Präsidiums des „Rates für Außen- und Verteidigu­ngspolitik“, eines weiteren einflussre­ichen Thinktanks.

Ukraine? Russische Geostrateg­en haben sie schon unter dem Etikett „Satelliten­Staat“eingebucht.

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