Wie viel ist ein Heiermann wert?
Ich war fünfzehn Jahre alt, die ersten Zeitungen druckten Geschichten von mir und ich wurde zu Autorenlesungen eingeladen. Ich flog hoch – und dann kam der Absturz.
In einer Lokalzeitung erschien ein spöttischer Artikel. Mit Sprechblasen wurden mir auf Fotos Worte in den Mund gelegt, die ich nie gesagt hatte. Neider versuchten, mich öffentlich zur Schießbudenfigur zu machen.
Ich litt und in der Schule lernte ich nicht, mit solchen Situationen fertig zu werden. Im Gegenteil, es gab dort nicht wenige, die fanden es sehr gut, dass ich mal auf das richtige Maß zurechtgestutzt wurde. Einer, der erzählt, er wolle später einmal Schriftsteller wer
Klaus-Peter Wolf, Bestsellerautor und Verfasser der berühmten Ostfrieslandkrimis, schreibt jede Woche für unsere Zeitung auf, was ihm als WahlOstfriesen an Norddeutschland so sehr gefällt.
den, musste doch ein blöder Spinner sein. Ein Traumtänzer und Realitätsverweigerer.
Ausgelacht zu werden, kannte ich, aber dieses öffentliche vorgeführt werden war neu.
Ein Oberstudienrat riet mir, ich solle doch endlich vernünftig werden und lieber meine Lateinvokabeln lernen, statt „Quatschgeschichten“zu schreiben.
Beinahe hätte ich damals aufgegeben. Beinahe. Aber da war zum Glück noch mein ostfriesischer Onkel. Ich besuchte ihn. Ich hatte ihm den Anfang meines ersten Romans anvertraut.
Er trank mit mir viel zu starken Tee. Mein Herz raste. Aber er hatte eine ehrliche Meinung zu meinem Anfang und das tat gut: Er wollte mehr lesen.
Ich erzählte ihm von meinen Sorgen. Er war ein guter Zuhörer. Wie immer stand bei dem starken Raucher ein halbvoller Aschenbecher auf dem Tisch.
Er machte beim Rauchen gern alle Fenster zu, damit der schöne Tabakgeruch sich länger im Raum hielt. Für Frischluft war der Deich da. In die gute Stube gehörten für ihn Tabak- und Teeduft.
„Sie bewerfen dich öffentlich mit Dreck und es fällt dir noch schwer, das als Auszeichnung zu begreifen,“sagte er. Ich verstand ihn nicht. Er zog sein Portemonnaie aus der Tasche und legte ein Fünfmarkstück auf den Tisch. Er nannte die Münze „Heiermann“.
„Wie viel ist der Heiermann wert?“, fragte er mich.
„Fünf Mark!“sagte ich und kapierte nicht, was er wollte.
Er warf die Münze in den Aschenbecher und drückte sogar eine Zigarette drauf aus... Als er das Geldstück herausfischte, klebte Dreck daran.
„Und wie viel ist der Heiermann jetzt wert?“wollte er wissen.
„Na, immer noch Mark“, sagte ich.
Er lachte. „Siehst du! Und genauso ist es mit dir und deinen Geschichten. Weder du noch deine Geschichten werden schlechter, weil jemand seinen Mist darauf ablädt. Ihr bleibt, was ihr seid. . .“
Er pustete die Asche ab. Jetzt klebte sie in meinen Haaren.
„Den Heiermann“, sagte er, „kannst du behalten. Schau ihn dir an, wenn du glaubst, an Wert verloren zu haben.“ fünf
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