Albert Camus: Hochzeit des Lichts (1959)
„Niemand hatte die Krankheit wirklich akzeptiert. Die meisten waren vor allem empfindlich für das, was ihre Gewohnheiten störte oder ihren Interessen
schadete. Darüber waren sie gereizt oder verärgert. Zum Beispiel war ihre erste Reaktion, die Behörden verantwortlich zu machen.“In Zeiten unserer gegenwärtigen Pandemie klingen solche Sätze nur allzu vertraut; sie stammen jedoch nicht aus der inzwischen zum Genre anwachsenden Co
sondern aus Albert Camus’ „Die Pest“.
Und da Bücher bekanntlich wechselvolle Schicksale, man könnte auch sagen: Lesarten haben, wurde „Die Pest“bei Erscheinen 1947 nicht als Beschreibung einer Epidemie, sondern als Allegorie auf die deutsche Besatzung Frankreichs verstanden, während der Text heute wie eine Vorwegnahme der Covid-Pandemie wirkt.
Jedenfalls gehört „Die Pest“zu jenen Werken, für die Camus 1957 der Nobelpreis zuerkannt wurde, weil sie, so die recht vage Begründung des Komitees, „mit scharfsichtigem Ernst menschliche Gewissensprobleme in unserer Zeit beleuchten“. Doch gehört auch Camus zu jenen Autoren, zu deren Verständnis die repräsentativen Hauptwerke weniger beitragen als manche scheinbar beiläufige Seitentriebe.
Dazu zählt unbedingt „Hochzeit des Lichts“, eine Sammlung autobiografisch grundierter Landschafts-, Reiseund Städtebilder. Im Porträt der Stadt Oran, die auch den Schauplatz der „Pest“bildet, entdeckt Camus unter der staubigen Hässlichkeit die tief berührende Menschlichkeit ihrer Bewohner, und in den sonnendurchglühten Ruinen der antiken Stadt Djemila verwandelt ihn der Wüstenrona-Betroffenheitsliteratur, wind „in ein Zubehör meiner kahlen und verdorrten Umgebung; seine flüchtige Umarmung versteinte mich, bis ich, Stein unter Steinen, einsam wie eine Säule oder ein Ölbaum unter dem Sommerhimmel stand. Nie habe ich in einem solchen Maße zugleich, meine eigene Auflösung und mein Vorhandensein in der Welt, empfunden.“
■ Das Buch: Albert Camus: Hochzeit des Lichts (1959). Die Kolumne „Ein Jahrhundert – 100 Bücher“erscheint regelmäßig in dieser Zeitung. Alle Folgen sind zu finden unter
→ @ www.nwzonline.de/jahrhundert-buecher