Auch Atomausstieg muss auf Tisch
Was Lindners Wirtschaftsberater Lars Feld zum Ukraine-Krieg sagt
Herr Prof. Feld, welche wirtschaftlichen Folgen befürchten Sie durch die russische Invasion in der Ukraine? Feld: Russland ist zwar in erster Linie eine Rohstoffwirtschaft. Wir sind daher weniger betroffen von unterbrochenen Lieferketten durch die jetzt anstehenden Sanktionen. Wenn wir die Lieferungen von Gas, Öl und Kohle aus Russland stoppen oder Putin uns den Gashahn abdreht, können wir uns diese Rohstoffe mittelfristig auf dem Weltmarkt beschaffen. Das würde natürlich erheblich teurer. Und kurzfristig ist die deutsche Wirtschaft durchaus vom Wegfall solcher Lieferungen betroffen, sodass ein konjunktureller Dämpfer bevorsteht.
Was würden höhere Energiepreise für uns bedeuten? Feld: Das heizt die Inflation weiter an. Die Inflationsrate in Deutschland könnte auf deutlich über vier Prozent in diesem Jahr steigen und wäre auch im kommenden Jahr höher als erwartet.
Was ist dann die Folge daraus? Feld: Die Bürger verlieren an Kaufkraft, die Lohnpolitik wird versuchen, diese zu kompensieren und eine Preisminal
Lohn-Spirale wird wahrscheinlicher. Die Europäische Zentralbank könnte die Geldpolitik schneller straffen und ihre Anleihekaufprogramme schneller beenden. Sie wird aber zugleich die konjunkturellen Folgen im Blick behalten. Die EZB wird daher erst einmal auf Sicht fahren müssen.
Ist es richtig, russische Banken vom internationalen elektronischen Zahlungssystem Swift abzukoppeln?
Feld: Ich halte es für absolut richtig. Die Sanktionen müssen Putin und Russland unmittelbar mit aller Härte treffen. Es ist darauf zu achten, dass dadurch keine Finanzkrise entsteht. Der Zahlungsverkehr muss ohne Russland reibungslos ablaufen.
Welche Folgen hat die weltpolitische Dimension des Einmarsches?
Feld: Putins Invasion führt zu einer neuen Weltordnung, einer erneuten Zweiteilung wie im Kalten Krieg. Der Krieg in der Ukraine ist ein schwerer Schock. Das bringt Unsicherheit, und die ist nie gut für die weitere Entwicklung. Die Frage wird sein, was China jetzt macht: Stellt es sich an die Seite Putins? Das wäre äußerst problematisch.
Wie sollte sich die deutsche Politik auf die Eskalation einstellen?
Feld: Die Bundesregierung kann wirtschaftspolitisch momentan nicht viel machen. Akut stehen verteidigungsund außenpolitische Maßnahmen an. Sie muss zudem dafür sorgen, dass die Energieversorgung sichergestellt bleibt. Dazu wird alles wieder auf den Tisch müssen, sogar Atomausstieg und Kohleausstieg. Die Entscheidung für ein LNG-Ter
an der Nordsee ist noch die einfachste.
Wegen des Kriegs steigt der Druck auf Finanzminister Lindner, im Haushalt mehr Schulden zuzulassen. Was raten Sie ihm?
Feld: Ich rate ihm zu einer Finanzpolitik der ruhigen Hand. Dies gilt jedenfalls für die Neuverschuldung im laufenden Jahr, die allerdings nicht unabhängig von der Ukraine-Krise bleiben wird. Es gilt umso mehr für die Finanzpolitik der kommenden Jahre im Rahmen der Schuldenbremse.
Die Ampel hat gerade ein Energie-Entlastungspaket geschnürt, das Milliarden kosten wird. Was macht Sie so sicher, dass alle Wünsche finanzierbar sind ohne eine noch höhere Neuverschuldung über 100 Milliarden Euro?
Feld: Die Anhebung der Pendlerpauschale wird ja erst im kommenden Jahr haushaltswirksam. Außerdem müssen die Länder zunächst zustimmen. Es ist also noch offen, ob das überhaupt durchkommt. Aber vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs müssen wir sehen, ob die Neuverschuldung noch bei 100 Milliarden Euro begrenzt werden kann oder ob wir noch etwas draufsatteln müssen. Das hängt auch davon ab, was Putin jetzt macht.